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Neutrale Anrede beim Ticketkauf

09.01.2025 Kauft ein „Herr“ oder eine „Frau“ eine Fahrkarte? Das sollte keine Rolle spielen, befindet der EuGH in seinem Urteil vom 09.01.2025 – C-394/23 und stellt damit manche Unternehmen mit Online-Verträgen vor neue Fragen. Wer ein Zugticket kauft, muss hiernach künftig wohl nicht mehr angeben, ob eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ erfolgen soll. Die Geschlechtsidentität des Kunden sei keine Information, die für den Erwerb eines Fahrscheins erforderlich ist, entschied das oberste europäische Gericht.

Hintergrund ist eine Klage aus Frankreich. Der Verband Mousse, der sich gegen sexuelle Diskriminierung einsetzt, beanstandete, dass die französische Bahn SNCF Kunden beim Onlineerwerb von Fahrscheinen systematisch verpflichtete, ihre Anrede anzugeben. Das verstoße gegen die Datenschutz-Grundverordnung. Dieser Argumentation ist der EuGH zum größten Teil gefolgt. Er erklärte, dass nach dem Grundsatz der Datenminimierung nur die absolut notwendigen Daten erhoben werden dürften. Ob jemand als Mann oder Frau angesprochen werden möchte, sei aber nicht unerlässlich für die Erfüllung des Vertrags. Das Beförderungsunternehmen könnte sich auch für eine „allgemeine und inklusive Höflichkeitsformel“ entscheiden und damit weniger stark in den Datenschutz eingreifen. Zudem werde den Kunden nicht mitgeteilt, warum diese Daten erhoben werden, also welches Interesse dahintersteckt.

Auch in Deutschland muss das EuGH-Urteil beachtet werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bereits in einem Beschluss vom 27.08.2024 – X ZR 71/22 eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main bestätigt, wonach die Deutsche Bahn (DB) nichtbinäre Personen in der Kommunikation nicht mehr als „Herr“ oder „Frau“ ansprechen darf. Diese Entscheidung schloss einen langjährigen Rechtsstreit ab. Die DB hatte als Reaktion bereits im Dezember 2023 eine geschlechtsneutrale Anrede auf ihrer Website und in der App eingeführt.

Was bedeutet das für andere Verträge? Der EuGH bleibt mit diesem Urteil bei seinem bereits in der sog. Meta-Entscheidung vom 04.07.2024 – C-252/21 eingeschlagenen Weg, die Anforderungen an die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung sehr eng auszulegen. Er hat klargestellt, dass die Einhaltung von Datenschutzanforderungen wettbewerbsrelevant ist und Datenschutzaufsicht und Kartellaufsicht diese prüfen können. Es bedeutet nicht, dass Unternehmen keine Daten zur Anrede mehr verarbeiten dürfen – der verbliebene Spielraum ist aber klein. Unternehmen müssen prüfen, ob diese Daten für die Vertragsdurchführung unerlässlich und daher verpflichtend sind. Ansonsten muss die Angabe als freiwillig gekennzeichnet, das berechtigte Interesse an der Verarbeitung in den Datenschutzhinweisen benannt und die Verarbeitung für den benannten Zweck auch unbedingt erforderlich sein.

– MS –

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