Bundesnetzagentur veröffentlicht Bericht zur Situation im Stromnetz im Winter 2011/2012
Hohes Niveau der Versorgungssicherheit war nur durch erhebliche Eingriffe der Übertragungsnetzbetreiber zu gewährleisten
Die Bundesnetzagentur hat am 7.5.2012 den »Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/12« veröffentlicht.
Die Situation im Stromnetz im Winter 2011/12 war sehr angespannt. In der Rückschau haben sich die Belastungsmodelle, die die Bundesnetzagentur im August 2011 in ihrem »Bericht zu den Auswirkungen des Kernkraftwerksausstiegs auf die Übertragungsnetze und die Versorgungssicherheit« aufgezeigt hat, als realistisch und die dort empfohlenen Vorsorgemaßnahmen als erforderlich herausgestellt. Mit dem Engpass in der Gasversorgung im Februar 2012 kam ein unerwartetes Ereignis dazu, das die Stromnetze zusätzlich belastet und zusätzliche Maßnahmen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) zur Aufrechterhaltung der Systemsicherheit erforderlich gemacht hat.
»Die angespannte Netzsituation spiegelt sich auch in der Zahl der Eingriffe der ÜNB sowohl in Kraftwerksfahrpläne als auch bei der Einspeisung von Strom aus EEG-Anlagen im vergangenen Winter wider. Während im Winter 2010/2011 lediglich in 39 Fällen aus Gründen, die im Übertragungsnetz lagen, zwangsweise in die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien eingegriffen wurde, erhöhte sich die Zahl der zwangsweisen Einspeisereduzierungen im vergangenen Winter auf 197. Die Schwerpunkte lagen dabei in der 50 Hertz Regelzone sowie in Schleswig-Holstein in der Regelzone von TenneT«, erläuterte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, die Lage im vergangenen Winter.
»Auch beim Redispatch, bei dem die Stromproduktion auf Basis vertraglicher Vereinbarungen angepasst wird, wurde ein erheblicher Anstieg festgestellt. So stieg der Bedarf an Redispatch auf der am stärksten betroffenen Leitungstrasse zwischen Remptendorf (Thüringen) und Redwitz (Bayern) drastisch an. Bei dieser Leitung, deren Ausbau seit Jahren stockt, mussten im vergangenen Winter aufgrund von Netzüberlastungen Redispatchmaßnahmen in Höhe von 2.140.997 MWh durchgeführt werden. Im Winter 2010/2011 betrug das Redispatchvolumen auf dieser Leitung, die auch in diesem Zeitraum die Leitung mit dem größten Redispatchvolumen darstellte, lediglich 100.150 MWh«, so Homann.
Der Einsatz der Kaltreserve-Kraftwerke in Österreich mit einer maximalen Leistung von 935 MW war aufgrund der außerplanmäßigen Nichtverfügbarkeit des Kernkraftwerks Gundremmingen C bereits im Dezember 2011 notwendig geworden.
Im Februar 2012 wurde erneut der Einsatz von Reservekraftwerken in Deutschland und Österreich sowie in einigen Stunden auch der Abruf von Notreserven aus dem Ausland notwendig, als Gaslieferungen aus Russland unerwartet ausblieben und einige Erdgaskraftwerke aufgrund unterbrechbarer Kapazitätsverträge zwischen Kraftwerks- und Fernleitungsnetzbetreibern nicht vollumfänglich produzieren konnten.
In diesem Zeitraum wurde nicht nur eine sehr hohe Auslastung von Leitungstrassen, sondern auch eine massive Unterspeisung der Bilanzkreise beobachtet. Das bedeutet, dass deutlich mehr Strom verbraucht wurde als prognostiziert und damit tatsächlich produziert worden war. In dieser Situation der Unterdeckung der Systembilanz mussten die ÜNB die Regelenergie, die von ihnen vorgehalten wird und der kurzfristigen Kompensation von Lastschwankungen und Kraftwerksausfällen dienen soll, zeitweise vollständig ausschöpfen. Um zu verhindern, dass Stromverbraucher vom Netz genommen werden müssen, wurde die Regelenergie unter Einsatz der Reservekraftwerke aufgestockt. Dazu wurden bis zu 1.295 MW Kaltreserve, davon 360 MW aus Deutschland und 935 MW aus Österreich, sowie Notreserven in Höhe von mehreren Hundert MW aus dem Ausland angefordert. Außerdem haben die ÜNB in erheblichem Umfang Strom an der Börse beschafft und in zwei Fällen Kraftwerke mit Zwangsmaßnahmen zur Einspeisung aufgefordert.
Die Ursachen für diese Unterspeisung der Bilanzkreise sind vielschichtig. Die bisherigen Untersuchungen, die noch nicht abgeschlossen sind, sprechen da - für, dass die Abweichungen weder einzelnen wenigen Akteuren noch einem strukturell homogenen Fehlverhalten zuzuordnen sind. Auch wenn vereinzelte Arbitrage-Geschäfte von Bilanzkreisverantwortlichen stattgefunden haben sollten, so wären diese aufgrund der hohen Ausgleichsenergiepreise in den betreffenden Zeiträumen jedenfalls finanziell nicht lohnend gewesen und darüber hinaus auch keineswegs allein ursächlich für die Abweichungen. So waren auch die sog. Differenzbilanzkreise der Verteilernetzbetreiber (VNB) deutlich unterdeckt, was darauf hindeutet, dass die VNB im Rahmen der Standardlastprofile für die Haushaltskunden die extrem tiefen Temperaturen wie im Februar 2012 nicht hinreichend reflektiert haben. Auch die Prognosen der Bilanzkreisverantwortlichen für die EEG-Anlagen, die ihren Strom nicht über die ÜNB, sondern direkt vermarkten, müssten nach Aussagen der ÜNB noch deutlich verbessert werden.
»Die Situation im Februar dieses Jahres hat verdeutlicht, dass die Sicherheit der Energieversorgung ganzheitlich zu betrachten ist und die Systemsicherheit spartenübergreifend gewährleistet sein muss«, stellte Homann fest. »Die Kommunikation zwischen Strom- und Gasnetzbetreibern muss intensiviert werden. Auch im Fall von möglichen Gasversorgungsengpässen ist die unterbrechungsfreie Versorgung von Gaskraftwerken sicherzustellen. Ebenso ist das Ausgleichsenergiepreissystem zu überarbeiten. Auch wenn die Ursachen für die massive Unterspeisung der Bilanzkreise im Februar des Jahres noch nicht abschließend geklärt sind, müssen stärkere ökonomische Anreize für die Bilanzkreisverantwortlichen geschaffen werden, ihre Bilanzkreise ausgeglichen zu bewirtschaften. Um noch in diesem Jahr ein entsprechendes System etablieren zu können, hat die Bundesnetzagentur bereits im März dieses Jahres ein Festlegungsverfahren eröffnet, das die Weiterentwicklung des gegenwärtigen Abrechnungssystems für Ausgleichsenergie zum Ziel hat«, so Homann weiter.
Für den Winter 2012/2013 rechnet die Bundesnetzagentur mit einer ähnlichen Situation im Elektrizitätsversorgungsnetz wie im vergangenen Winter. Keine Anhaltspunkte gibt es gegenwärtig in Bezug auf einen erneuten Gasversorgungsengpass.
Mit großer Besorgnis wird die Ankündigung der Außerbetriebnahme von Kraftwerken insbesondere in Süddeutschland zur Kenntnis genommen. Damit würde das Sicherheitsniveau auf nicht mehr akzeptable Werte sinken. Dies spiegelt sich auch in der Empfehlung der Bundesnetzagentur an die ÜNB wider, für den Winter 2012/13 Reservekapazitäten im Umfang von etwa 2.150 MW zu kontrahieren. Das entspricht einem Anstieg von 505 MW im Vergleich zum Winter 2011/12. Der tatsächliche Bedarf wird insbesondere vom Umfang der Kraftwerksstilllegungen in Süddeutschland abhängen, bei einer Verschiebung von Stilllegungen kann er sich deutlich reduzieren.
»Ein Rückgang der Erzeugungskapazitäten im Süden Deutschlands kann nicht hingenommen werden. Sollen Kraftwerke in Süddeutschland außer Betrieb genommen werden, muss dies durch die Bereitstellung von Reservekraftwerken kompensiert werden, da der notwendige Stromtransport vom bestehenden Übertragungsnetz nicht bewältigt werden kann. Diese Tatsache unterstreicht erneut die Dringlichkeit eines schnellen Netzausbaus. Technisch valide Maßnahmen, die den Netzausbau ersetzen, gibt es nicht«, machte Homann deutlich.
- bna -
Anmerkung von RA Dr. Achim-Rüdiger Börner, Köln:
Die Pressemeldung der Bundesnetzagentur zeigt, was ich schon lange gegen strengen Wind sage:
Die Energiepolitik der letzten beiden Jahrzehnte ist populistisch, unbedacht und gefährlich.
1) Entscheidend sind die Reserven im Engpass, d.h. im Strom bei Höchstlast, die bei uns im Winter auftritt. Ohne Kraftwerke, die nur für diesen Fall bereitstehen (Kaltreserve), gibt es keinen Strom. Wenn sich die Kaltreserve nicht rentiert, wird keine gebaut.
2) Der Markt an der Börse ist unvollständig, solange ein Weiterverkauf aus Abschaltung von Industriebetrieben mangels Höchstpreisen nicht besteht. Er kann im Grunde nicht bestehen, weil die Produktionseinstellung mit Herunter- und Herauffahren viel zu teuer und im Vergleich zum Kraftwerkseinsatz nicht lohnend ist.
Darüber hinaus ist die Börse nicht geeignet, den Lastgang vor Ort zu glätten; neue kumulierende Spitzen belasten alle Netze zusätzlich.
3) Das Abschalten von Atomkraft führt zu einer Verschiebung von Mittel- und Spitzenlastkraftwerken in die Grundlast und damit zu einer verstärkten Abhängigkeit von Erdgaskraftwerken, d.h. russischen Erdgasimporten. Weil im Falle von technischen oder politischen Störungen der Gasversorgung die Leute ihre Wärme statt mit der Gasheizung im Wesentlichen mit Elektrizität herstellen, steigt unsere Anfälligkeit für derartige Störungen: Nun kann es nicht nur kalt, sondern sogar schwarz werden.
4) Das EON-Stromnetz (heute Tennet) ist aufgrund der größeren Entfernungen im Vergleich zu den punktuellen Lasten und aufgrund der im flachen Land hohen Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien ein Schwachpunkt. Da hat die EU-Kommission aufgrund ihrer Kartellverfahren nun die verhältnismäßig starke EON genötigt, das Netz zu verkaufen, und der Erwerber kann die erforderliche Modernisierung und den Ausbau unter der Regulierung kaum stemmen. Das ist symptomatisch:
Bei allen Netzen, insbesondere auch den Verteilernetzen auf Orts- und Regionalebene, hat die überzogene Regulierung zwar für höchste Wirtschaftlichkeit des Betriebes gesorgt, aber eben nur auf dem Stand für gestern und nicht unter Berücksichtigung des permanenten Investitions- und Modernisierungszwanges in Gewinnung eines Morgen. Da stehen wir nun und haben so gespart, dass wir überall der Entwicklung hinterherhinken statt ihr voranzuschreiten.
5) Die Planung von Netzen und Kraftwerken sollte synergetisch unter Berücksichtigung der Lasten erfolgen, sonst hat man teilsektoral billige und systemisch teure Ergebnisse.
6) Ohne viel Geld und Zeit sowie gute Gewinnaussichten ist eine Energiewende nicht machbar.
7) Die Verschiebung von Vermögen in die Großverbraucher (geringe EEG-Belastung, Befreiung von Netzgebühren) sorgt zwar für Arbeitsplätze, führt aber zu dünnen Stellen im volkswirtschaftlichen Gewebe, die einreißen können.
8) Das Problem also: Realität stört Utopie, und Träumen ist schön.