Musterfeststellungsverfahren in der Energiewirtschaft?
10.12.2018 Seit dem 1.November 2018 können Verbraucher Sammelklagen in Form des neuen Musterfeststellungsklageverfahren (§§ 606 ZPO ff.) erheben.
Ziel der Neuregelung ist die Stärkung der Kunden bei der Durchsetzung von Ansprüchen und Rechten gegenüber größeren Unternehmen. Dieses neue zivilprozessuale Instrument gilt auch im Bereich der Strom- und Gasversorgung, so dass sich Energieversorgungsunternehmen darauf einstellen und u.a. ihre Vertragsbedingungen entsprechend aktualisieren sollten, um ihre Risiken zu minimieren. Auch kleine und mittlere Unternehmen der Energiebranche, wie Stadtwerke, unabhängige Stromdiscounter und kleine Verteilnetzbetreiber könnten in Zukunft unter zunehmenden Druck geraten, sobald Verbraucher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der komplexen, von teilweise widersprüchlicher Rechtsprechung geprägten Vertragsstrukturen von Strom-, Gas- oder Wärmeversorgungsverhältnissen über eine Musterfeststellungklage geltend machen.
Die prozessrechtlichen Grundlagen der Musterfeststellungsklage sind in §§ 606 - 614 Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt, wonach ausschließlich »qualifizierte Einrichtungen im Rahmen eines Präzedenzverfahrens das Bestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen« durch Urteil feststellen lassen können. Das sind neben klassischen Verbraucher-, Umwelt- und vor allem Mieterverbänden auch energiespezifische Verbände: der Bund der Energieverbraucher e.V., der Bezahlbare Energie e.V. und die deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (DGS) stehen bereits in der Liste qualifizierter Einrichtungen. Dabei ist die Klagebefugnis auf typische Verbraucherverbände beschränkt, da neben einer Mindestgröße und dem satzungsgemäßen Ziel der Vertretung von Verbraucherinteressen unter anderem auch eine maximal fünfprozentige Finanzierung durch Unternehmenszuwendungen erforderlich ist (§ 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Hat ein Verbraucherverband Musterfeststellungsklage erhoben, so wird das Verfahren in einem Musterfeststellungs- Klageregister im Internet veröffentlicht. Betroffene Verbraucher können sich dann in einem einfachen, kostenfreien Verfahren in ein Klägerregister eintragen lassen. Das Urteil des Musterfeststellungsverfahrens wirkt dann zugunsten und zulasten aller im Klageregister eingetragenen Verbraucher (§ 613 Abs. 1 ZPO). Im Falle eines Vergleichs können die angemeldeten Verbraucher innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung aus dem Vergleich austreten. Ist eine Musterfeststellungsklage rechtshängig, können im Klageregister gemeldete Verbraucher keine parallelen Klagen zum selben Klagegegenstand erheben. Damit führt die Musterfeststellungsklage auch aus Sicht der beklagten Unternehmen zu einer Entlastung von einer Vielzahl paralleler Klagen und der hiermit verbundenen Aufsummierung des Prozesskostenrisikos. Auch die gesetzliche Festlegung eines Höchststreitwerts von 250.000 Euro (§ 48 Abs. 1 S. 2 GKG) senkt das Prozesskostenrisiko für die beklagten Unter nehmen erheblich.
Neben dem neu eingeführten nationalen Musterfeststellungsverfahren arbeitet die europäische Kommission an einem europäischen Modell für Sammelklagen, welches auf den gleichen Prinzipien wie das aktuelle deutsche Modell aufbaut, aber deutlich unkomplizierter und weitergehender sein soll. Findet dieses Modell Eingang in eine neue EU-Richtlinie, könnte der nationalen Gesetzgeber angehalten sein, das Musterfeststellungsverfahrens z.B. zugunsten von mittelständischen Unternehmen weiter zu entwickeln. Die Verfahrensordnung der Clearingstelle EEG/KWKG und die zahlreichen Hinweis- und Empfehlungsverfahren zeigen, dass hier gerade in der Energiewirtschaft ein hoher Bedarf besteht. Dabei hat der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Verfahren auf Private (vgl. § 32a Abs. 1 KWKG 2017) vor allem im Bereich des KWKG, bei dem 90 Prozent aller Streitigkeiten gegen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geführt werden, einen wichtigen Regelungsbereich offengelassen. Insofern könnte Europa dazu beitragen, eine erhebliche Rechtsschutzlücke zu schließen und das Grundrecht effizienten Rechtsschutzes zu stärken.
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