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Titel: Art. 240 § 1 EGBGB: Zahnloser Tiger Oder doch: Niemand zahlt mehr an niemanden?
Datum: 01.05.2020
Artikeltyp: Aufsätze
Kategorien: Energie(wirtschafts)recht, EU-Recht, Zivilrecht
Dokumentennummer: 20005824 ebenso Versorgungswirtschaft 5/2020, Seite 133

Art. 240 § 1 EGBGB: Zahnloser Tiger Oder doch: Niemand zahlt mehr an niemanden?

- von RA Michael Brändle, Freiburg -*

COVID-19 ist zweifellos eine ernsthafte Bedrohung. Jeder tut gut daran, eigenverantwortlich dafür zu sorgen, sich und seine Mitmenschen zu schützen und die Hygienevorschriften einzuhalten. An die Vernunft des Einzelnen und seine Eigenverantwortung glaubt der Staat wie immer nicht und zeigt sich paternalistisch: Gesetze und Vorschriften sollen es richten, unter anderen das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl I 2020, 569), das mit nur zwei Enthaltungen vom Bundestag am 25.03.2020 einhellig verabschiedet wurde. Politisch wird verkündet, es gehe »darum, Verbraucher bei Dauerschuldverhältnissen zu schützen, sodass ihnen nicht der Strom, das Internet, das Wasser abgestellt wird. Sie können für drei Monate etwas Luft schnappen und die Zahlungen einstellen«, wie der Abgeordnete Luczak (CDU/CSU) in seiner Rede bei der Gesetzesberatung meinte.1 Ähnlich steht es gleich dreimal in der Gesetzesbegründung: Das Gesetz (aus dem hier im Folgenden nur Artikel 5 betrachtet wird, mit dem ein neuer Art. 240 EGBGB geschaffen wird) soll dazu dienen, dass Verbraucher und Kleinstunternehmen »von Leistungen der Grundversorgung (Strom, Gas, Telekommunikation, soweit zivilrechtlich geregelt auch Wasser) nicht abgeschnitten werden, weil sie ihren Zahlungspflichten krisenbedingt nicht nachkommen können«.2 Steht wirklich im Gesetz, man könne ohne Weiteres einfach die Zahlungen einstellen (unten I)? Oder stimmt das nicht und das Gesetz ist in Wahrheit ein zahnloser Tiger und Ausdruck gesetzgeberischer Schnappatmung (unten II) - der aber gleichwohl zu großen Verwerfungen und Unsicherheiten führen wird (unten III)?

I. Was beinhaltet Art. 240 § 1 EGBGB?

1. Sachlicher Anwendungsbereich: Wesentliche Dauerschuldverhältnisse

Es geht bei Art. 240 § 1 EGBGB3 »nur« um ein Leistungsverweigerungsrecht, der Bestand der Forderungen bleibt unangetastet. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht weiterhin nur für »wesentliche Dauerschuldverhältnisse« (Art. 240 § 1 Abs. 1 [bzw. Abs. 2] Satz 2 EGBGB). Das sind bei Verbrauchern solche, die »zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind« (Art. 240 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB). Bei Kleinstunternehmern sind es solche, »die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind« (Art. 240 § 1 Abs. 2 Satz 3 EGBGB). Hierzu zählen nach der Gesetzesbegründung, gegen die es insoweit nichts zu erinnern gibt, »etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste, soweit zivilrechtlich geregelt auch Verträge über die Wasserver- und -entsorgung«.4 Die Formulierung im Gesetz ist offen. Auch die Begründung lässt die Aufzählung mit einem »etwa« beginnen. Man darf gespannt sein, was in der Praxis sonst noch alles unter »angemessene Daseinsvorsorge« gefasst werden wird. Das verfassungsrechtlich garantierte »menschenwürdige Existenzminimum«, was sicher deutlich weniger ist als die »angemessene Daseinsvorsorge«, erstreckt sich nicht nur auf die physische Existenz, sondern auch auf die »Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben«.5 Dann müssen auch Zeitungsverlage um ihre Einnahmen aus den Abonnementsgebühren fürchten. Und wie sieht es mit Wohnungseigentümern aus, die zwar nicht direkt Erdgas, Fernwärme und Wasser beziehen, aber von der Gemeinschaft mit Wärme und Wasser beliefert werden? Auch diese können auf die Idee kommen, die Zahlung des Hausgeldes zu verweigern, was die Gemeinschaft in Probleme stürzen würde (dazu aber unten 2). Bei der Herstellung oder Änderung eines Netzanschlusses handelt es sich nicht um ein Dauerschuldverhältnis; die entsprechenden Kosten unterliegen keinen Besonderheiten. Die Anschlussnutzung ist zwar ein Dauerschuldverhältnis, dafür darf aber kein Entgelt verlangt werden. Die Netznutzung ist ein Dauerschuldverhältnis, für das die Regelung im Grundsatz gilt. Die (durch die Entscheidung der Kommune gewählte) öffentlich-rechtliche Wasserversorgung und die stets öffentlich-rechtliche Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung sind nicht betroffen, wohl aber die zivilrechtliche Wasserversorgung. Eine zivilrechtliche »Wasserentsorgung« (also Abwasserbeseitigung) gibt es entgegen der Gesetzesbegründung nicht.6

2. Persönlicher Anwendungsbereich: Verbraucher und Kleinstunternehmer

Das Leistungsverweigerungsrecht können nur Verbraucher (Art. 240 § 1 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) und Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG7 (Art. 240 § 1 Abs. 2 Satz 1 EGBGB) in Anspruch nehmen. Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können (§ 13 BGB). Das ist einerseits mehr, andererseits weniger als der Haushaltskunde (§ 3 Nr. 22 EnWG).8 Kleinstunternehmer sind ausweislich der Empfehlung 2003/361/EG Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 2 Mio. EUR nicht überschreitet. Weder Verbraucher noch Unternehmer sind alle »Sonstigen«. Zu nennen sind hier insbesondere juristische Personen des öffentlichen Rechts, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine, internationale Organisationen, ausländische Streitkräfte usw. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist dann einem Verbraucher gemäß § 13 BGB gleichzustellen, wenn ihr wenigstens ein Verbraucher angehört und sie ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder einer gewerblichen noch einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit dient.9 Das ist bei Energielieferungsverträgen regelmäßig der Fall, weshalb der Verwalter, dem das Geld ausgeht, wenn Hausgelder nicht mehr bezahlt werden, versuchen wird, das Problem an den Energielieferanten durchzureichen. Dass es dann auf den »angemessenen Lebensunterhalt« (unten 4) der Eigentümer und nicht des Verwalters ankommt, ist klar, unklar ist allerdings, wie der Verwalter das darlegen und beweisen will (unten II).

Insolvenzverwalter, die eine Masseverbindlichkeit begründet haben, dürften sich auf die Bestimmung berufen können, falls in der Person des Schuldners die Voraussetzungen vorliegen. Die rechtliche Stellung des Zwangsverwalters ist strittig.10

Unabhängig davon gilt: Die Anordnung der Zwangsverwaltung - und im Übrigen auch der Zuschlag oder auch der Verkauf des Grundstücks - ändern nichts an der vertraglichen Situation.11 Der Zwangsverwalter haftet nicht für Rückstände des Schuldners oder Dritter (z.B. Mietern), kann also ohnehin nicht in Anspruch genommen werden. Allerdings kann der Zwangsverwalter in die Situation kommen, dass er selbst Gas für Heizzwecke und Allgemeinstrom beschaffen muss, weil der Lieferant den Vertrag mit dem Schuldner gekündigt hat und mit einer Versorgungsunterbrechung droht. Er kann also auch selbst Vertragspartner des Energielieferanten sein. Gleichwohl wird man wohl eher nicht auf seine, sondern auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners abstellen müssen.

3. Zeitlicher Anwendungsbereich

Die Regelung gilt nur für Verträge, die ein Dauerschuldverhältnis beinhalten und welche vor dem 8.März 2020 geschlossen wurden (Art. 240 § 1 Abs. 1 [bzw. Abs. 2] Satz 2 EGBGB). Wer in Kenntnis der Pandemie einen Vertrag abschließt, muss ihn auch uneingeschränkt erfüllen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Rückstände, die schon vor dem 8. März 2020 angelaufen sind, erfasst werden. Als Datum kommt insoweit auch der 12. März 2020 in Betracht, weil erst an diesem Tag der Ständige Ausschuss des WHO-Regionalkomitees für Europa die Pandemie festgestellt hat.12 Ohne Pandemie kann es kein Leistungsverweigerungsrecht »wegen der Pandemie« (unten 4 und 5) geben. Es stellt sich dann die weitere Frage, ob der Rückstand vor dem Stichtag - richtigerweise der 12. März 2020 - schon fällig gewesen sein muss, um die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht auszuschließen, was wohl zu bejahen ist. Fälligkeit tritt bei der Energielieferung in der Regel »frühestens … zwei Wochen nach Zugang der Zahlungsaufforderung« ein.13 Bei Wasser14 und Fernwärme15 gilt das Gleiche. Anders herum ausgedrückt: Schon vor dem 12. März 2020 fällige Forderungen können uneingeschränkt verfolgt werden, denn für deren nicht rechtzeitige Erfüllung kann die Pandemie nicht die Ursache sein. Die Regelung ist weiterhin bis zum 30. Juni 2020 befristet (Art. 240 § 4 EGBGB). Allerdings kann die Bundesregierung sie durch Rechtsverordnung bis zum 30. September 2020 verlängern. Spätestens dann, wenn nicht schon vorher (dazu unten II), können Forderungen - auch die während des Moratoriums angelaufenen, denn die Bestimmung lässt deren Bestand unangetastet - wieder uneingeschränkt geltend gemacht werden.

4. Pandemiebedingte Unmöglichkeit des Verbrauchers

Die Leistung darf von einem Verbraucher nur verweigert werden, wenn ihre Erbringung »infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre.« (Art. 240 § 1 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Hier müssen also zwei Voraussetzungen kumulativ gegeben sein: Die »Unmöglichkeit« der Leistung muss pandemiebedingt sein und sie müsste, würde sie doch erbracht, den angemessenen Lebensunterhalt gefährden. Hier muss also keine gänzliche Unmöglichkeit vorliegen, es reicht die Gefährdung des angemessenen Lebensunterhaltes im Falle der Leistung.

5. Pandemiebedingte Unmöglichkeit des Kleinstunternehmers oder Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs

Für den Kleinstunternehmer ist die Regelung etwas anders ausgestaltet: Die Leistung darf nur verweigert werden, wenn ihre Erbringung »infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind« gänzlich unmöglich ist (Art. 240 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB) oder (alternativ) die »wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs« »gefährden« würde (Art. 240 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGBGB).

6. Rechtsfolge: Leistungsverweigerungsrecht = materiellrechtliche Einrede

Liegen diese Voraussetzungen alle vor, dann hat der Schuldner jeweils »das Recht, Leistungen zur Erfüllung (des) Anspruchs zu verweigern«. Das Recht, eine Leistung vorübergehend zu verweigern stellt rechtlich eine dilatorische (hemmende) Einrede dar. Diese muss geltend gemacht werden, um das Gegenrecht zum Entstehen zu bringen. Solange der Schuldner sich nicht rührt, gibt es keinen Grund für den Gläubiger seine Forderungsbeitreibung zu unterbrechen; vorauseilender Gehorsam ist nicht angezeigt. Die Einrede ist auch nur materiell-rechtlich, aber nicht prozesshindernd. Sie hindert somit weder einen gerichtlichen Mahnantrag noch eine Zahlungsklage, wohl aber - wenn sie zurecht erhoben wurde - die Aufrechnung (§ 390 BGB).

7. Gegenrecht des Gläubigers (Art. 240 Abs. 3 EGBGB)

Damit ist die Prüfung aber noch nicht zu Ende, denn das Vorstehende »gilt nicht«, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger seinerseits unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage seines Erwerbsbetriebs gefährden würde. Das kann der (unternehmerische) Gläubiger sowohl dem Verbraucher (Art. 240 Abs. 3 Satz 1 EGBGB) als auch dem Kleinstunternehmer (Art. 240 Abs. 3 Satz 2 EGBGB) entgegenhalten. Wenn das Leistungsverweigerungsrecht danach ausgeschlossen ist, steht dem Schuldner »das Recht zur Kündigung zu« (Art. 240 Abs. 3 Satz 3 EGBGB), wobei von einer außerordentlichen Kündigung nicht die Rede ist, obwohl nur dies Sinn und Zweck der Regelung sein kann; ordentlich kündigen kann der Schuldner ohnehin. Obwohl die Formulierung »gilt nicht« dagegenspricht, ist jedenfalls sicherheitshalber davon auszugehen, dass dieses Gegenrecht zum Gegenrecht ebenfalls eine Einrede darstellt (sozusagen die Einrede gegen die Einrede), welches geltend zu machen ist.

II. Rechtliche Einordnung: Zahnloser Tiger

1. Starke Stellung des Gläubigers

Es fällt schwer, bei der Besprechung dieses gesetzgeberischen Monstrums sachlich zu bleiben: Da stehen sich wie bei High Noon zwei gegenüber, es geht aber nicht darum, wer schneller zieht, sondern wer die leereren Taschen vorzeigt. Der Gläubiger ist aber klar im Vorteil: Trotz (angeblicher) Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts oder der wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs des Schuldners kann er mit der (angeblichen) Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage seines Erwerbsbetriebs kontern. Wer wirklich die besseren Karten hat, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand; das entscheiden später, wenn die Pandemie längst vorbei ist, die Gerichte. Deshalb kann es für die Gläubiger - auch und gerade für die primär adressierten - nur die folgenden klaren Empfehlungen geben:

  • Der Gläubiger wendet stets - schon vorgerichtlich - die Unzumutbarkeit (Art. 240 Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 EGBGB) ein.
  • Dies gilt insbesondere für Netzbetreiber, die gesetzlich verpflichtet sind, »diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren « (§ 20 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Stellten alle Netznutzer - auch und insbesondere Lieferanten, welche alle gleich zu behandeln sind - ihre Zahlungen auf die Netznutzungsentgelte ein, wäre die wirtschaftliche Grundlage des Netzbetriebs ohne Zweifel gefährdet.
  • Netzbetreiber (und Kraftwerksbetreiber, nicht aber Lieferanten) sowie Wasser- und Fernwärmeversorger können überdies ins Feld führen, sie seien von »besonderer Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens« (§ 2 [Energie einschließlich Fernwärme] und § 3 [Wasser] BSI-KritisV), also »systemrelevant«.
  • Grundversorger fallen zwar nicht unter die BSI-KritisV, haben aber als Lieferanten letzter Instanz ebenfalls eine aus § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG abzuleitende wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge, die sie einwenden können.
  • Die Telekommunikation zählt ebenfalls zu den kritischen Infrastrukturen (§ 5 BSI-KritisV).

Die - vorgerichtliche und gerichtliche - Geltendmachung der Forderung, welche als solche vom Gesetz nicht in Frage gestellt wird, ist nicht gehindert, weshalb den Gläubigern deshalb zusätzlich nur zu empfehlen ist:

  • Der Gläubiger setzt seine Forderungsbeitreibung fort, forciert sie sogar tunlichst.

2. Prozessuales

Da es sich bei dem vorübergehenden Leistungsverweigerungsrecht um eine Einrede handelt, die zwar vorgerichtlich und gerichtlich vom Schuldner geltend gemacht werden kann, die gerichtliche Verfolgung von Forderungen, deren Bestand als solcher vom Gesetz nicht in Frage gestellt wird, aber nicht hindert, kann der Gläubiger zulässigerweise im Prozess das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen (Umstände, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts bzw. der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs) mit Nichtwissen bestreiten. Dann muss der Schuldner nach allgemeinen Beweisregeln diese ihm günstigen Tatsachen darlegen und beweisen, was bedeutet, dass er eine detaillierte Einkommens- und Vermögensauskunft erteilen und die Angaben belegen muss.

Gelingt ihm dies nicht, scheitert die Klage des Gläubigers nicht daran. Gelingt es ihm und kann der Gläubiger nicht seinerseits die Unzumutbarkeit beweisen (was schon mit einer guten Argumentation, die das Ganze in den Blick nimmt, ggf. auch mit einer Wirtschaftsprüferbescheinigung und der Benennung des Wirtschaftsprüfers als Zeugen durchaus gelingen kann), ist die Klage als derzeit unbegründet zurückzuweisen - das jedoch nur, wenn zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung die Regelung noch gilt. Aber auch das wird eher nicht geschehen, weil die Gerichte derzeit neue Klagen wohl eher nicht zügig abarbeiten werden. Das gerichtliche Mahnverfahren wird sowieso nicht beeinflusst.

3. Versorgungsunterbrechung weiter möglich

Und was ist zur eingangs erwähnten Behauptung in der Gesetzesbegründung zu sagen, das Gesetz diene dazu, dass Verbraucher und Kleinstunternehmen »von Leistungen der Grundversorgung (Strom, Gas, Telekommunikation, soweit zivilrechtlich geregelt auch Wasser) nicht abgeschnitten werden, weil sie ihren Zahlungspflichten krisenbedingt nicht nachkommen können«?16 Davon steht nichts im Gesetz und ein dahingehender Entschließungsantrag der LINKEN17 wurde ausdrücklich abgelehnt18, was nur zu einem weiteren Rat führen kann:

  • Lieferanten greifen unbeirrt zum Mittel der Versorgungsunterbrechung, soweit die üblichen Voraussetzungen vorliegen.
  • Netzbetreiber ergreifen unbeirrt die nach dem Lieferantenrahmenvertrag möglichen Maßnahmen, bis hin zur Kündigung des Netznutzungsvertrags, soweit die üblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Rechtspolitische und ökonomische Einordnung: Verheerende Signalwirkung

Nach Vorstehendem kann das Ziel des Gesetzgebers nicht erreicht werden. Umso verheerender ist das Signal, das er mit dieser aus juristischer Sicht wirkungslosen - und überflüssigen, es gibt schließlich Pfändungsschutzvorschriften - Regelung aussendet. Wer einen Brand löschen will, sollte auch den Wasserschaden bedenken. Was passiert nach dem 30. September 2020? Die Verlängerung der Verlängerung?19

Wird dann die vertragsbasierte Wirtschaft durch die Staatswirtschaft ersetzt? Deutschland wäre damit in einem bisher nicht gekannten Zustand der Rechtsunsicherheit angelangt: Niemand kann mehr sicher sein, dass abgeschlossene Verträge erfüllt werden. Denn die Pandemie trifft jeden und gibt jedermann einen Vorwand an die Hand, seine Zahlungen einzustellen. Aus der Vertragswirtschaft wird Willkürwirtschaft: Der Dumme ist, wer zahlt. Denn Pandemie hin oder her: Angesichts der Millionen und Abermillionen von Verträgen ist eine gerichtliche Überprüfung, ob hinter der Zahlungseinstellung wirklich die Pandemie steht, schlicht nicht möglich, schon gar nicht in nützlicher Zeit. Ohne Vorkasse oder Barzahlung läuft dann nichts mehr, denn die Signalwirkung des Gesetzes geht über die dort genannten »wesentlichen Dauerschuldverhältnisse« hinaus. Umso befremdlicher ist, dass dieses gesetzgeberische Monstrum mit nur zwei Enthaltungen (aus der AfD-Fraktion) vom Bundestag am 25.März 2020 einhellig verabschiedet wurde.20 Der Abgeordnete Thomae (FDP) hat immerhin angemerkt, seine Fraktion stehe den Änderungen, auch der hier besprochenen (»reicht das Problem nur eine Reihe weiter«)21, teilweise kritisch und ablehnend gegenüber. Trotzdem haben auch die Abgeordneten der FDP zugestimmt, was keine gute Nachricht für das Bürgerliche Gesetzbuch ist, in welches in einer Art und Weise eingegriffen wurde, die vor Kurzem noch undenkbar schien.

* Der Autor ist Rechtsanwalt in Freiburg.

1 Plenar-Protokoll 19151 (D).

2 BT-Drs 19/18110, S. 1, unten; 4, 2. Abs.; 18, 2. Abs.

3 Der Gesetzestext ist kostenfrei abrufbar: www.gesetze-im-internet.de/bgbeg/BJNR006049896.html .

4 BT-Drs 19/18110, S. 34, 3. und 5. Abs.

5 BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 119 m.w.N. = BGBl I 2019 2046.

6 Ausnahme: Bremen, der dortige Zustand ist aber rechtswidrig.

7 ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36.

8 Zu den Einzelheiten siehe Brändle, Energie-Zivilrecht, 3.7.7 Verbraucher, Unternehmer, Sonstige - Letztverbraucher von Energie, Haushaltskunde; das Werk steht online unter www.online-bibliothek.eu/index.php? id=12286 kostenfrei zur Verfügung.

9 BGH, Urteil vom 25.03.2015 - VIII ZR 243/13, juris Rn. 30 = BGHZ 204, 325, 334, VersorgW 2015, 176, DokNr. 15003529, mit Anmerkung Brändle, VersorgW 2015, 176, DokNr. 15003508.

10 Im Einzelnen ausführlich: Schmidberger, in Schneider ZVG, 1. Auflage 2020, § 150 Rn. 19-25.

11 Für die Zwangsverwaltung und den Zuschlag jedenfalls im Ergebnis zutreffend AG Heilbronn, Urteil vom 15.06.2016 - 7 C 3434/15, juris, ZfIR 2016, 476 (red. Leitsatz); im Einzelnen zur Energielieferung in der Zwangsverwaltung Brändle, ZfIR 2016, 729, 736.

12 www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/coronaviruscovid-19/news/news/2020/3/who-announces-covid-19-outbreak-a-pandemic .

13 § 17 Abs. 1 Satz 1 StromGVV/GasGVV, die in der Grundversorgung direkt gelten und außerhalb der Grundversorgung in der Praxis regelmäßig (und sinnvollerweise) kraft Parteivereinbarung einbezogen werden.

14 § 27 Abs. 1 AVBWasserV.

15 § 27 Abs. 1 AVBFernwärmeV.

16 BT-Drs. 19/18110, S. 1, unten; 4, 2. Abs.; 18, 2. Abs.

17 BT-Drs. 19/18142.

18 Plenar-Protokoll 19158 (A).

19 Merkwürdig in diesem Zusammenhang: Art. 240 EGBGB tritt nach Artikel 6 Abs. 6 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl I 2020, 569) erst am 30.09.2022 außer Kraft.

20 Plenar-Protokoll 19157 (D).

21 Plenar-Protokoll 19152 (C).

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