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Titel: Vorsteuerabzug setzt eine rechtzeitige Zuordnungsentscheidung beim Leistungsbezug voraus
Behörde / Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz (in Neustadt an der Weinstadt)
Datum: 09.06.2016
Aktenzeichen: 6 K 1797/13
Artikeltyp: Rechtsprechung
Kategorien: Umsatzsteuer
Rechtsstand: Revision ist anhängig; BFH, Az. V R 62/16
Dokumentennummer: 17004187 ebenso Versorgungswirtschaft 4/2017, Seite 117

Vorsteuerabzug setzt eine rechtzeitige Zuordnungsentscheidung beim Leistungsbezug voraus

- FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.06.2016 - 6 K 1797/13 -*

Revision ist anhängig; BFH, Az. V R 62/16

Leitsatz der Redaktion:

Im Falle einer gemischten Nutzung eines Gegenstands muss die juristische Person des öffentlichen Rechts rechtzeitig, d.h. bereits bei Bezug der Eingangsleistungen eine Zuordnungsentscheidung treffen und diese »zeitnah«, mithin spätestens in der am 31.Mai des Folgejahres abzugebenden Umsatzsteuererklärung dokumentieren.

Zusammenfassung:

Die Klägerin, eine Stadtgemeinde, errichtete ab dem Jahr 2009 auf dem Gelände eines ehemaligen Supermarktes einen als »Marktplatz« bezeichneten Platz, der mit einer Bühnenanlage mit Zuschauertribüne, Ruhebänken sowie einem Geräte- und Abstellraum ausgestattet wurde. Außerdem wurden Basaltsäulen und Hinweistafeln errichtet, die auf die Bedeutung des Badeortes in Bezug auf die Lehren, Therapien und über das Leben von Sebastian Kneipp Informationen geben. Auf dem an den Marktplatz angrenzenden Kurpark wurde eine öffentliche Toilettenanlage errichtet.

Die Klägerin beantragte mit den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen 2009 und 2010 den Abzug von Vorsteuern, auch soweit sie auf die Baukosten für den Marktplatz entfielen. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers, dem das Finanzamt folgte, wurde der Platz für Feste und Konzerte mit freiem Eintritt genutzt. Der Marktplatz werde nicht für eine steuerpflichtige, wirtschaftliche Tätigkeit, die der Erzielung von Einnahmen diene, genutzt und deshalb sei der Vorsteuerabzug zu versagen. Ein eindeutiger wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Betrieb gewerblicher Art (BgA) »Kurverwaltung« liege nicht vor.

Die Einsprüche der Klägerin, der Platz werde für kulturelle Veranstaltungen im Rahmen des Kurbetriebs genutzt, wies das beklagte Finanzamt als im Wesentlichen unbegründet zurück. Nach Auffassung der Beklagten könnten öffentliche Verkehrsflächen zwar wesentliche Betriebsgrundlage eines BgA sein, nicht aber zum ertragssteuerlichen Betriebsvermögen und auch nicht zum umsatzsteuerlichen Unternehmensvermögen gehören. Ein hinreichend objektiver Zusammenhang des Marktplatzes mit dem BgA »Kurverwaltung« sei von der Klägerin nicht dokumentiert worden.

Laut Urteil vom 9.6.2016 ist die Klage unbegründet. Der »Marktplatz« wird sowohl von Kurgästen als auch (unentgeltlich) von Nicht-Kurgästen genutzt. Liegt eine solche gemischte Nutzung vor, erfordert die Zuordnung zum Unternehmen eine durch objektive Beweisanzeichen gestützte zeitnahe Zuordnungsentscheidung. Daran fehlt es hier.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist ein Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeiten) zu verwenden beabsichtigt.1 Erforderlich ist ferner ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz.2

Ein Leistungsbezug, der unternehmerisch oder nichtunternehmerisch genutzt werden kann, ist dann als insgesamt für das Unternehmen angeschafft anzusehen, wenn der Unternehmer eine entsprechende Zuordnungsentscheidung getroffen hat. Der Unternehmer hat ein Zuordnungswahlrecht3: Er kann den Gegenstand bzw. den Leistungsbezug entweder seinem Unternehmen, seinem nichtunternehmerischen Bereich oder entsprechend dem geschätzten unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen und im Übrigen seinem nichtunternehmerischen Bereich zuordnen. Eine Zuordnung zum Unternehmen ist nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen, wenn der Gegenstand zu weniger als 10% für unternehmerische Zwecke genutzt wird.

Die Zuordnung zum Unternehmen erfordert - so das FG Rheinland-Pfalz in Übereinstimmung mit der BFH-Rechtsprechung - eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers bei Anschaffung, Herstellung oder Einlage des Gegenstands. Die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ist regelmäßig ein gewichtiges Indiz für, die Unterlassung des Vorsteuerabzugs ein ebenso gewichtiges Indiz gegen die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen.4 Zudem kann die spätere tatsächliche Verwendung ein Indiz für oder gegen eine Zuordnung zum Unternehmen sein, sofern sie jedenfalls noch zeitnah nach Leistungsbezug erfolgt.5 Die Zuordnungsentscheidung ist schon im Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung des Gegenstands zu treffen.6

Die beim Leistungsbezug zu treffende Zuordnungsentscheidung muss »zeitnah«, d.h. spätestens und mit endgültiger Wirkung im Rahmen der Jahressteuererklärung bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist von Steuererklärungen (31. Mai des Folgejahres) nach außen dokumentiert werden. Das gilt gleichfalls für den in zeitlicher Hinsicht »gestreckten« Vorgang der Herstellung eines Gebäudes oder sonstiger baulichen Anlage.7

Diese Zuordnungsregeln gelten nicht nur für die unternehmerische und nicht unternehmerische Betätigung von natürlichen Personen, sondern ebenso für die der juristischen Person des öffentlichen Rechts.8 Eine Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann als Unternehmer tätig sein und insoweit Leistungen für ihr Unternehmen beziehen. Zum Unternehmensbereich gehört auch ein Kurbetrieb (Kurverwaltung), der das »Bereitstellen von Einrichtungen des Fremdenverkehrs « gegen Entrichtung von Kurbeiträgen beinhaltet.9

Im Streitfall ist der Stadtgemeinde der Vorsteueranspruch zu Recht versagt worden. Die Klägerin wurde bei der Herstellung des Marktplatzes nicht ausschließlich unternehmerisch tätig. Im Rahmen der ihr obliegenden öffentlichen Aufgaben als Straßenbaulastträger (Errichtung von Straßen und Plätzen zur allgemeinen Nutzung) vollzieht sich dieses Tätigwerden innerhalb des nichtunternehmerischen (hoheitlichen) Bereichs. Der als Marktplatz bezeichnete Platz ist nicht nur im Rahmen von Veranstaltungen des Kurbetriebs durch Kurgäste, sondern auch als allgemeine und kostenfrei nutzbare städtische Einrichtung von »jedermann« nutzbar, sodass keine ausschließliche Nutzung des Platzes im Rahmen des Kurbetriebs vorliegt. Eine ausschließliche unternehmerische Nutzung im Rahmen des Betriebs »Kurverwaltung« würde eine 100%ige Nutzung des Platzes durch Kurgäste, die für die Inanspruchnahme ihren Kurbeitrag entrichten, voraussetzen. Da der Platz öffentlich zugänglich ist und außer von Kurgästen auch von den einheimischen Bewohnern sowie sonstigen Besuchern der Gemeinde (Tagestouristen, die keinen Kurbeitrag entrichten) genutzt wird, ist zweifelsfrei eine gemischte Nutzung des »Marktplatzes« zu sehen.

Aufgrund des Vorliegens einer gemischten Nutzung hätte die Gemeinde rechtzeitig, d.h. bereits bei Bezug der Eingangsleistungen eine Zuordnungsentscheidung treffen und diese zeitnah, mithin spätestens in den am 31. Mai 2010 bzw. am 31. Mai 2011 abzugebenden Umsatzsteuererklärungen dokumentieren müssen. Die Steuererklärungen wurden jedoch erst im September 2011 (2009) bzw. Juli 2012 (2010) beim Finanzamt eingereicht. Damit scheidet - unabhängig von der Frage, ob die Zuordnungsentscheidung (intern) rechtzeitig getroffen wurde - mangels rechtzeitiger Dokumentation der Zuordnungsentscheidung ein Vorsteuerabzug aus.

Lediglich ergänzend weist der Senat des FG darauf hin, dass eine vollständige Anerkennung der Vorsteuern selbst bei rechtzeitiger Dokumentation nicht in Betracht gekommen wäre. Da außer den Kurbeiträgen keine Einnahmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Nutzung des Marktplatzes stehen, erzielt worden sind, wäre allenfalls eine teilweise Anerkennung im Rahmen einer - groben - Schätzung der Nutzung des Platzes durch die Kurgäste im Verhältnis zur Nutzung durch Dritte (Nicht-Kurgäste) möglich. - M.Kr. -

* Die Entscheidung finden Sie im vollen Wortlaut auf unserem Portal vkw-online.eu unter DokNr. 17001876.

1 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFH/NV 2011, 717, VW-DokNr. 11000527.

2 BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFH/NV 2011, 1261, VersorgW 2012, 7, DokNr. 12001347, mit Hinweis u.a. auf EuGH v. 6.4.1995, C-4/94, BLP, Slg. 1995, I-983; EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg. 2000, I-4177; EuGH v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg. 2001, I-1361.

3 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg. 2003, I-4101, Rz. 40; BFH v. 31.1.2003, V R 61/96, BStBl 2003 II, 815.

4 BFH v. 31.1.2002, V R61/96, BStBl 2003 II, 815.

5 BFH v. 26.1.2006, V R 74/03, BFH/NV 2006, 1164.

6 U.a. BFH v. 17.12.2008, XI R 64/06, BFH/NV 2009, 798; BFH v. 18.4.2012, XI R 14/10, BFH/NV 2012, 1828.

7 Für Gebäude: BFH v. 7.7.2011, V R 21/10, BFH/NV 2012, 143; BFH v. 11.7.2012, XI R 17/09, BFH/NV 2013, 266.

8 BFH v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957.

9 BFH v. 26.4.1990, V R 166/84, BStBl 1990 II, 799.

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