Ausstieg aus der Atomenergie
7.6.2011 Nach langen Verhandlungen einigte sich die Bundesregierung Ende Mai auf einen Atomausstieg bis 2022. Bis zum 8. Juli wollen Union und FDP das dafür erforderliche Gesetzespaket durch Bundestag und Bundesrat bringen. Wichtige Meilensteine für den Umbau des Energiesystems sind ein Ausbau der Stromerzeugung mit hocheffizienten und flexiblen Gaskraftwerken, Kraft- Wärme-Kopplung sowie erneuerbaren Energien. Daran gekoppelt ist eine Modernisierung der gesamten Netzinfrastruktur. Dazu sind eine Novelle des Atomgesetzes, des Erneuerbare-Energien- Gesetzes sowie das neue Netzausbaubeschleunigungsgesetz vorgesehen. Als Grundlage für die Beschlussfassung diente der Bericht der Ethikkommission, die einen Ausstieg aus der Kernkraft bis 2021 empfiehlt. Die Mehrzahl der Meiler soll bereits bis 2021 abgeschaltet werden, drei Kernkraftwerke sollen als Sicherheitspuffer dienen, falls der Umbau des Energiesystems nicht so schnell vorankommt.
Die vier Kernkraftwerksbetreiber E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall stellen sich auf deutliche Einschnitte ein. Nach einer Studie der Landesbank Baden- Württemberg werden durch die Atomwende bei den Energiekonzernen Werte von bis zu 22 Milliarden Euro vernichtet (Handelsblatt 03.06.2011). Ein Teil davon kann aber eventuell durch steigende Strompreise aus Kohle- und Gaskraftwerken kompensiert werden. Die Internationale Energie-Agentur sagt ohnehin ein »goldenes Zeitalter« für Erdgas voraus, da sich die Förderung des Rohstoffs aus Schiefergestein und anderen unkonventionellen Quellen stark erhöhen wird. Die Gesamtressourcen für Erdgas würden danach für mehr als 250 Jahre reichen. Allerdings werden bei der bislang gängigen Fördermethode große Mengen an Wasser, Sand und Chemikalien unter die Erde gepumpt, was zu Umwelt-Problemen führt.
Es gibt zwar einen hohen gesellschaftlichen Konsens über einen raschen Ausstieg aus der Kernenergie. Inzwischen werden aber auch vereinzelt Zweifel an der panischen Flucht aus der Atomenergie geäußert. Die geologische Situation in Deutschland ist mit der Erdbebenregion in Japan nicht vergleichbar und jede andere Form der Energieerzeugung hat bisher beträchtlich mehr Menschenleben gefordert als die atomare. Andererseits ist das Restrisiko eines Super-Gaus nicht mehr kalkulierbar, nicht mehr versicherbar und im Strompreis auch nicht einkalkuliert. Dieses Risiko muss das Gemeinwesen tragen, und die Gesellschaft in Deutschland ist dazu offensichtlich nicht mehr bereit.
Nicht verkannt werden darf allerdings bei alledem, dass die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Kraftwerksbetreiber faktisch ein enteignungsgleicher Eingriff ist. Zwar geht aus einem Gutachten, das die Bundesregierung beim Bundesjustizministerium zum Problem möglicher Schadensersatzforderungen anfertigen hat lassen hervor, dass durch die im Herbst letzten Jahres beschlossene Verlängerung der Laufzeiten keine nachhaltige Rechtsposition bei den Kraftwerksbetreibern entstanden sei, dies dürfte aber rechtlich nur schwer haltbar sein. Das Eigentum ist in seiner gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung, nämlich in der Fassung des Atomgesetzes vom Dezember 2010 geschützt. Es erscheint mehr als zweifelhaft, ob eine plötzliche nicht durch sachliche Fakten begründete Risiko- Neubewertung einen derart schwerwiegenden Eingriff in das bestehende Eigentum rechtfertigt. Selbst wenn man den Eingriff als gerechtfertigt ansieht, bleibt doch die Frage der Entschädigung. Wenn Art und Ausmaß der Entschädigung nicht geregelt sind, dürfte das Gesetz einer verfassungsrechtlichen Prüfung kaum standhalten. Zweifel bestehen auch, ob die neue Brennelementesteuer, an der die Bundesregierung trotz Atomausstieg festhält, angesichts des veränderten Umfelds noch zu rechtfertigen ist. Sie wird die Unternehmen in den kommenden sechs Jahren 1,3 Milliarden Euro jährlich kosten.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßt die Einigung der Bundesregierung zu einem schnellen Ausstieg aus der Kernenergie. Ein Technologieland wie Deutschland sei hierzu auch in der Lage. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Bau und der Nutzung hoch effizienter Kraftwerke auf Gas-Basis könne Deutschland als Exportnation davon profitieren und die notwendige eigene Versorgungssicherheit herstellen.
Die Bundesnetzagentur sieht allerdings ernsthafte Probleme beim Stromtransport, da die Netze auf den schwankenden Stromtransport nicht ausgelegt seien. Im Sommer fließe in Schwachlastzeiten zu viel Sonnen- und Windkraft-Strom ins Netz. Im Winter könne es zu Problemen kommen, wenn der Stromverbrauch hoch, die Zufuhr von Sonnenstrom dagegen gering sei. Generell seien die Stromnetze derzeit an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, so Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur. Doch nicht nur im Bereich der Stromerzeugung bestehe Investitionsbedarf. Der VKU rechnet im Verteilernetzbereich mit einer Summe von 25 Milliarden Euro, die allein bis 2030 für den Um- und Ausbau aufgewendet werden muss und noch einige Milliarden mehr für moderne, intelligente Netze.
Eine neue Studie der Technischen Universität Berlin kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass auch bei einem kurzfristigen Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland keine Engpässe oder gar Black-Outs zu befürchten sind. Diese Studie betrachtet dabei erstmals neben der Versorgungssicherheit auch die Auswirkungen des Ausstiegs auf die Hochspannungsnetze in Deutschland sowie den europäischen Nachbarländern.
Angesichts des erwarteten Zubaus bis 2013 von 10 Gigawatt konventioneller Kraftwerkskapazität sowie zirka derselben Menge im Bereich der erneuerbaren Energien und der Integration Deutschlands in das europäische Stromsystem stelle sich der Wegfall der Kernkraft als unproblematisch dar. Zusätzliche Strommengen können vor allem aus den Niederlanden, Österreich und Polen bezogen werden; zusätzliche Kernenergieimporte aus Frankreich oder Tschechien wären nicht notwendig.
- KFM -