AGB mit "individueller Bekanntgabe" von Strom- und Gaspreisänderungen unwirksam
- Urteile des OLG Hamm vom 22.11.2011 - I-19 U 51/11 und I-19 U 122/11 -
Vertragsklauseln von Energieversorgern, die Strom- und Gaspreisänderungen gegenüber den Kunden nur per "individueller Bekanntgabe" vorsehen, genügen nicht den gesetzlichen Vorgaben. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm auf Klage der Verbraucherzentrale NRW gegen die E. GmbH (AZ: I-19 U 51/11) sowie die G. AG (AZ: I-19 U 122/11) entschieden. Die Richter erklärten, dass eine "individuelle Bekanntgabe" der Preisänderung zu unbestimmt sei, da offen bliebe, ob die Mitteilung per Brief, per E-Mail oder gar per Telefonanruf erfolgen solle. Die Frage, ob eine Klausel, welche die Ankündigung einer Preisänderung lediglich per E-Mail vorsieht, zulässig ist, ließen die Richter offen.
Die betreffende Klausel lautet: „Änderungen der Preise und der Allgemeinen Vertragsbedingungen … werden erst nach individueller Bekanntgabe wirksam.“ Mitteilungen über Preisänderungen erfolgten im vorliegenden Online-Kundengeschäft nach Darstellung des Beklagten stets per e-mail. Ferner ist der Kunde gemäß einer weiteren Klausel berechtigt im Falle einer Änderung der Preise oder der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Vertrag bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende zu kündigen.
Keine Wirksamkeit aufgrund inhaltsgleicher Übernahme der Regelung des § 5 II der GVV Strom bzw. Gas.
Nach gefestigter Rechtsprechung1 des BGH zur Leitbildfunktion der GVV ist zwar das Preisänderungsrecht des Versorgungsunternehmens nach § 5 II der GVV Strom oder Gas intransparent und unbestimmt. Es ist jedoch als gesetzgeberische Regelung im Hinblick auf die Bestimmung des § 310 II BGB in der Weise hinzunehmen, dass dann keine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers im Sinne von § 307 I 1, 2 BGB vorliegt, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Sonderkunden diese Vorgaben der GVV unverändert übernehmen, wofür es keiner wortgleichen, aber einer inhaltsgleichen Entsprechung bedarf, so das OLG Hamm.
An einer unveränderten Übernahme fehlt es hier nach den Ausführungen des OLG Hamm schon deshalb, weil die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten lediglich eine „individuelle Bekanntgabe“ der Preisänderung und damit keine bestimmte Form der Mitteilung vorsieht. Bei gebotener kundenfeindlichster Auslegung (BGH vom 27.01.2010 - VIII ZR 326/08, vw.online.eu DokNr. 10000188) könnte hiernach eine Preiserhöhung schon nach einer mündlichen oder telefonischen Mitteilung wirksam werden. Dem Erfordernis des § 5 II S. 2 der GVV, wonach auch die briefliche Mitteilung und die Veröffentlichung im Internet Wirksamkeitsvoraussetzung sind, ist nicht Genüge getan. Die Übernahme dieser Pflichten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist indessen ebenfalls Voraussetzung für eine unveränderte Übernahme im oben genannten Sinne (BGH v. 14.07.2010 - VIII ZR 246/08, vkw-online.eu DokNr. 11000573; BGH v. 09.02.2011 -VIII ZR 295/09, vkw-online.eu DokNr. 11000575 <Rz. 29>).
Für die Wirksamkeitsprüfung im vorliegenden Verbandsprozess kommt es laut OLG Hamm nicht darauf an, wie die Bekanntmachung tatsächlich gehandhabt wird. Dahinstehen kann ferner, ob bereits der Verzicht auf die öffentliche Bekanntgabe (§ 5 II S. 1 der GVV) und/oder eine ausschließlich in Form einer e-mail vorgesehene Mitteilung eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher begründen würde.
Die Preisänderungsklauseln sind nach Art, Anlass und Modalitäten gänzlich unbestimmt
Auch einer Wirksamkeitsprüfung nach § 307 I 1, 2 BGB halten die Preisänderungsklauseln der Beklagten wie das OLG Hamm feststellt nicht stand. Für den Durchschnittskunden bleibt unklar, in welcher Form und gegebenenfalls durch wen eine „individuelle Bekanntgabe“ erfolgen muss, um Wirksamkeit zu entfalten. Der Verbraucher wird dadurch in unzulässiger Weise im Ungewissen darüber gelassen, ab wann ihm gegenüber eine Mitteilung von Preisänderungen verbindlich erfolgt ist; die genaue Kenntnis dieses Zeitpunkts ist für ihn namentlich wegen der darauf bezogenen Frist für eine Vertragskündigung wichtig.
Ferner kann das vertragliche Kündigungsrecht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen die unangemessene Benachteiligung des Kunden nicht kompensieren. Es weist vielmehr dieselbe Unbestimmtheit auf, weil die Kündigungsmöglichkeit auf den - unklaren - Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Preisänderung bezogen ist und ebenso wie jener Zeitpunkt für den Verbraucher der Beginn und Lauf der Überlegungs- sowie der Kündigungsfrist nicht sichergestellt sind.
Keine Aussetzung des Verfahrens und keine Revision
Das OLG Hamm sieht eine Aussetzung dieses Verfahrens nach § 148 ZPO namentlich nicht im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des BGH an den EuGH (v. 09.02.2011 - VIII ZR 162/09, vkw-online.eu DokNr. 11000574) als veranlasst an. Es fehlt an der Vorgreiflichkeit, da abweichend vom dortigen Gegenstand hier keine inhaltlich unveränderte Übernahme der GVV gegeben ist (Vorlagefrage a) und ferner aufgrund der Fassung der streitgegenständlichen Klauseln der Beklagten nicht sichergestellt ist, dass rechtzeitig dem Kunden die Preisänderung im Voraus mitgeteilt wird und er kündigen kann (Vorlagefrage b).
Eine Revision gegen die Urteile wurde vom OLG Hamm nicht zugelassen. Durch die Rechtsprechung des BGH ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen bei einem Normsonderkundenvertrag wie hier von einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung eines Preisänderungsrechts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgegangen werden kann (BGH v. 07.09.2011 - VIII ZR 25/11 und v. 07.09.2011- VIII ZR 14/11, vkw-online.eu DokNr. 11001213).
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1 Vgl. zur Rechtsprechung des BGH und der Leitbildfunktion der gesetzlichen Regelung den Aufsatz von Börner: „Preisanpassung für Erdgaslieferungen an Normsondervertragskunden: Die Rechtsprechung des BGH und sein Urteil (VIII ZR 246/08) vom 14.07.2010“, vkw-online.eu DokNr. 11001078 ebenso Versorgungswirtschaft 2011, S. 113.