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Titel: Vorsatzanfechtung bei Versorgungsverträgen - Tendenzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine kritische Beobachtung
Datum: 01.02.2015
Artikeltyp: Aufsätze
Kategorien: Insolvenzrecht, Verfassungsrecht
Dokumentennummer: 15003369 ebenso Versorgungswirtschaft 2/2015, Seite 43

Vorsatzanfechtung bei Versorgungsverträgen - Tendenzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine kritische Beobachtung

- von Dieter Schütte, Michael Horstkotte und Matthias Veihelmann, Berlin, Rostock und Bad Doberan -*

Kommt es in der Versorgungswirtschaft zur Insolvenz des Kunden, sehen sich die Versorgungsunternehmen in der jüngsten Vergangenheit zunehmend im Wege der Insolvenzanfechtung Rückforderungsansprüchen der Insolvenzverwalter ausgesetzt. Früher haben sich die Insolvenzverwalter im Versorgungsbereich in der Mehrzahl der Fälle auf den Zeitraum der letzten drei Monate vor Antragstellung fokussiert. In den letzten Jahren wird - gestützt durch die Rechtsprechung des IX. Senats des Bundesgerichtshofs - zunehmend die Vorsatzanfechtung herangezogen, die einen deutlich längeren Anfechtungszeitraum umfasst. Damit verbunden sind erhebliche finanzielle Risiken der Versorgungsunternehmen, die Gefahr laufen, vor Jahren erhaltene Zahlungen für erbrachte Versorgungsleistungen in die Insolvenzmasse zurückzuzahlen und nur noch eine quotale Befriedigung zu erhalten. Im schlimmsten Fall können sie bei Masseunzulänglichkeit sogar leer ausgehen. Der Beitrag stellt die Tendenz in der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung dar und unterzieht der aufweichenden Anwendung und Bejahung insbesondere der subjektiven Tatbestandsmerkmale einer kritischen Prüfung.

(…)

1. Die Tendenz zur Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO

In den letzten Jahren hatten die Insolvenzverwalter Anfechtungen im Bereich der Energieversorgung überwiegend auf §§ 130 und 131 InsO gestützt und damit auf die letzten drei Monate vor Antragstellung beschränkt. Zunehmend wird nunmehr auch das Instrument der Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO herangezogen, das ihnen einen viel längeren Anfechtungszeitraum, nämlich bis zu 10 Jahren, zugänglich macht. …

Die bevorzugte Anwendung der Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO ist insbesondere im Hinblick auf das System der Anfechtungstatbestände und deren Schutzzweck kritisch zu betrachten. Die §§ 130 - 132 InsO erlegen den Gläubigern innerhalb des besonders geschützten Zeitraums zum Schutz der Gläubigergesamtheit die Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme auf und geben deshalb dem Gleichbehandlungsgrundsatz Vorrang vor dem Prioritätsprinzip. Außerhalb des geschützten Zeitraums muss der Gläubiger bei der Verfolgung seiner Rechte gegenüber dem Schuldner grundsätzlich die Belange der Gläubigergesamtheit nicht beachten. Demgegenüber steht § 133 InsO nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der materiellen Insolvenz, sondern missbilligt bestimmte Verhaltensweisen des Schuldners. Die Vorsatzanfechtung setzt den Gedanken um, dass der Schuldner nicht berechtigt ist, vorsätzlich einzelne Gläubiger gegenüber anderen zu bevorzugen, soweit die ihnen gegenüber bestehenden Verpflichtungen gleichrangig sind.1 Mit dem Ziel, die Insolvenzmasse zu maximieren, versuchen Insolvenzverwalter sich nun beinahe grundsätzlich auf missbilligtes Verhalten der Schuldner im Sinne von § 133 InsO zu berufen.

Und die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des für insolvenzrechtliche Fragestellungen zuständigen IX. Senats des BGH, ebnet den Weg. …

2. Die Rechtsprechung zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 133 I InsO

Nach § 133 Abs. 1 InsO kann eine Zahlung des Insolvenzschuldners an das Versorgungsunternehmen in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag anfechtbar sein, wenn der Insolvenzschuldner die Zahlung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen und wenn das Versorgungsunternehmen zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird allerdings - und dort muss aus Sicht der Versorgungsunternehmen die Kritik ansetzen - generell vermutet, wenn ein Gläubiger und damit auch ein Versorgungsunternehmen wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

* Die Verfasser sind Rechtsanwälte der Kanzlei Schütte Horstkotte & Partner mit den Standorten Berlin, Rostock und Bad Doberan. Dieter B. Schütte, Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter der Hochschule Wismar und Michael Horstkotte, Fachanwalt für Verwaltungsrecht sind Mitautoren des Buches »Die öffentliche Körperschaft als Insolvenzgläubiger«.

1 So BAG, Urteil vom 29.01.2014 - 6 AZR 345/12.

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