Anmerkung zum BGH-Urteil vom 14. März 2012 – VIII ZR 113/11 -
von Rechtsanwalt Dr. Achim-Rüdiger Börner, Köln:
Der BGH stellt an Preisanpassungsklauseln für Erdgaslieferungen nach § 307 I BGB höchste Anforderungen. So war im vorliegenden Normsonderkundenvertrag die Spannungsklausel, dass der Preis sich mit dem Preis für ihre allgemeinen Tarife ändert, unwirksam; der BGH hatte hierzu entschieden, dass die Rechtsfolge der Unwirksamkeit anknüpft (a) an die Unklarheit, ob die Tarifänderung (meist im Arbeitspreis) absolut oder relativ nachzuvollziehen oder der Anlass für eine Neufestsetzung des Preises ist1, und (b) bei Fehlen dieser Unklarheit an eine der Spannungsklausel fehlende gerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB2; die Klauseldefizite würden nicht durch nur den AVB bzw. der GVV entsprechende Kündigungsrechte des Kunden ausgeglichen.3
Während der BGH anfangs aus der unwidersprochenen Durchführung der Preisanpassung auf deren Vereinbarung schloss4 und damit einen Rechtsgrund für die veränderte Zahlung annahm, hat er später auf den mangelnden Erklärungswillen des Kunden abgestellt, einer Vertrags(preis)änderung zuzustimmen, und damit die Rückforderungen erweitert.5 Die Argumentation des BGH, der Lieferant könne kündigen, wenn ihm der Festpreis zu nachteilig werde, und daher bedürfe es keiner Vertragsheilung6 lief grds.7 leer, denn der Lieferant wusste in aller Regel nicht, dass seine Preisanpassungen unwirksam waren oder sein könnten. So blieb der Lieferant aufgrund der Klauselrechtsprechung auf zumindest in der Summe erheblichen Fehldeckungen sitzen.
Mit der neuen Entscheidung erkennt der BGH das Argument grundsätzlich an, dass es bei den Lieferverträgen um ein Massengeschäft geht8, bei dem die Beteiligten sich schon bei Vertragsschluss über die Preisvolatilität des Liefergegenstandes, den der Lieferant zeitgerecht beschaffen muss, und damit ausweislich der vereinbarten, wenn auch unwirksamen Klausel über die Notwendigkeit von Preisänderungen im Klaren sind, und dass daher eine Heilung möglich sein muss.9
In Verkennung des Summeneffekts von Massengeschäften beschränkt der BGH seine Zustimmung aber auf langfristige Lieferverträge: Hier würde sich ohne Preisanpassung die Leistungsäquivalenz nachhaltig verändern; daher sei im vorliegenden Fall (27 Jahre unbeanstandete Durchführung des Vertrages) eine ergänzende Vertragsauslegung geboten: Angesichts der Nichtigkeit der Preisänderungsklausel schließe zwar das Verbot geltungserhaltender Reduktion von AGB deren Ersetzung aus; aber eine Analogie zu § 18 III 2. HS GasGVV und den früheren Regeln der AVB, die zur Zeit des Vertragsschlusses galten, beschränke die Rückforderung aus Mess- und Berechnungsfehlern auf längstens drei Jahre; daher sei der Vertrag hier so zu ergänzen, dass Rückforderungen nur binnen drei Jahren seit Zugang der Jahresabrechnung geltend gemacht werden dürften.
Dies ist eine materielle Ausschlussfrist, keine Verjährungsfrist, denn Aufrechnungen mit verfristeten Ausgleichsforderungen sollen ausgeschlossen sein; wegen § 315 BGB wäre andernfalls ein zahlungssäumiger Kunde im Vorteil.
Nach AVB und GVV läuft die Frist jedoch ab Feststellung des Fehlers, so dass für die vertragsergänzende Analogie der erste Zugang der Preiserhöhung und nicht, wie der BGH sagt, der Zugang der Jahresschlussrechung maßgeblich sein müsste. Der BGH verlängert die Zeit der Ungewissheit, in der der Versorger mit einer Verpflichtung zur Preisrückerstattung rechnen muss, über das vom Gesetzgeber für eine Fehlerkorrektur in der Tarifversorgung vorgesehene Maß. Das widerspricht der engen Anlehnung an die Leitbildfunktion der AVB bzw. GVV, die der BGH bzgl. des Preisänderungsvorbehalts für zwingend hält. Der Hinweis des BGH10, eine ergänzende Vertragsauslegung setze im Übrigen nicht voraus, dass sich für jede Einzelheit der »technischen« Ausgestaltung der Vertragsergänzung konkrete Anhaltspunkte im Willen oder in den Erklärungen der Vertragsparteien nachweisen lassen, trägt diese Verlängerung der Rückforderungszeit nicht. Im Zweifelsfall sind Lücken nämlich entsprechend dem dispositiven Recht zu schließen.11 Richtig wäre es daher gewesen, die auch ansonsten vom BGH betonte Leitbildfunktion der GVV durch eine möglichst enge Analogie anzuerkennen.
1 Urteil vom 17.12.2008 - VIII ZR 274/06, BGHZ 179, 186/Versorgungswirtschaft 2009, S. 63 vkw-online.eu, DokNr. 09000403; dazu Börner, Versorgungswirtschaft 2009, S. 57 vkw-online.eu, DokNr. 09000397.
2 Urteil vom 14.7.2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180/Versorgungswirtschaft 2010, S. 202/vkw-online.eu, DokNr. 11000573; dazu Börner, Versorgungswirtschaft 2011, S. 113, 116f. vkw-online.eu, DokNr. 11001078.
3 Urteil vom 17.12.2008 - VIII ZR 274/06, BGHZ 179, 186/Versorgungswirtschaft 2009, S. 63 vkw-online.eu, DokNr. 09000403; Urteil vom 15.7.2009 - VIII ZR 56/08, BGHZ 182, 41, 55/Versorgungswirtschaft 2009, S. 209 vkw-online.eu, DokNr. 09000480; Urteil vom 15.7.2009 - VIII ZR 225/07, BGHZ 182, 59, 72 vkw-online.eu DokNr. 11001197; Urteil vom 14.7.2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180, 197/Versorgungswirtschaft 2010, S. 202, 203 vkw-online.eu, DokNr. 11000573.
4 Urteil vom 13.6.2007 - VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315, 328f./Versorgungswirtschaft 2007, S. 224 vkw-online.eu, Doknr. 07000399.
5 BGHZ 186, 180, 198 (a.a.O.).
6 BGHZ 179, 186, 195; BGHZ 182, 59, 74f.; BGHZ 186, 180, 198f. (jeweils a.a.O.).
7 Ausnahme evtl. Urteil vom 29.4.2008 - KZR 2/07, BGHZ 176, 244, 255/ Versorgungswirtschaft 2008, 210 DokNr. 08000508: Der BGH verweist auf eine erst kurze Laufzeit und lässt offen, ob der Vertrag länger lief, evtl. sogar bis zum Urteil 2008.
8 vgl. auch BGHZ 182, 59, 75 (a.a.O.).
9 Börner, Versorgungswirtschaft 2011, 118 (a.a.O.).
10 mit Verweis auf eigene Rechtsprechung.
11 Ellenberger, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, Rn. 4 zu § 157 BGB.