Zur Vergabe von Stromnetzkonzessionen durch die Gemeinden
BGH, Urteile vom 17.12.2013 - KZR 65/12 und KZR 66/12 -
Der BGH hat am 17.12.2013 in den Verfahren KZR 65/12 (Vorinstanz: OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012 16 U (Kart) 22/12, VW-DokNr. 13001951) und KZR 66/12 (Vorinstanz: OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012 - 16 U (Kart) 21/1, VW-DokNr. 13001950) entschieden, dass Gemeinden den Konzessionär für ihr Stromnetz in einem diskriminierungsfreien und transparenten Verfahren auswählen müssen, auch im Fall der Übertragung an einen Eigenbetrieb. Gegenstand beider Verfahren war die Frage, ob ein Altkonzessionär berechtigt ist, die Herausgabe des Netzes an einen von der Gemeinde bestimmten Neukonzessionär zu verweigern. Aufgrund Ende 2008 bis Ende 2012 ausgelaufener Konzessionsverträge war die Beklagte in den Gemeinden Netzbetreiberin. Ihre Bewerbung um Abschluss neuer Konzessionsverträge hatte jeweils keinen Erfolg. Im Verfahren KZR 65/12 entschied sich die Klägerin, die Stadt Heiligenhafen, den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb selbst zu übernehmen. Im Verfahren KZR 66/12 haben 36 Gemeinden einen neuen Konzessionsvertrag mit der Klägerin des Verfahrens abgeschlossen, bei der es sich um eine mittelbare Tochtergesellschaft dreier anderer Gemeinden handelt. Das OLG Schleswig hatte u.a. wegen mangelnder Berücksichtigung der Ziele des § 1 EnWG bei den Konzessionierungsverfahren eine Herausgabepflicht nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG a.F. verneint. Laut Mitteilung des BGH hat der Kartellsenat die dagegen gerichteten Revisionen zurückgewiesen. Die Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsgründe steht noch aus.
Im Verfahren KZR 65/12 kann die Beklagte den Überlassungsansprüchen entgegenhalten, dass die Klägerin bei der Neuvergabe des Wegerechts gegen § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen und dadurch die Beklagte im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB aF unbillig behindert hat. Die Klägerin hat das Transparenzgebot nicht beachtet, das bei der Vergabe von Wegerechten für den Netzbetrieb aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG folgt. Das Transparenzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde den Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen will. Gemeinden können sich in diesem Zusammenhang weder auf ein "Konzernprivileg" noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten "In-house-Geschäfts" berufen. Das verfassungsrechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht wird dadurch nicht verletzt.
Im Verfahren KZR 66/12 stehen der Klägerin keine Ansprüche auf Überlassung der Netze zu, weil sie nicht "neues Energieversorgungsunternehmen" im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG aF geworden ist. Voraussetzung dafür wäre jeweils ein wirksamer Konzessionsvertrag mit den Gemeinden. Die abgeschlossenen Verträge sind jedoch nach § 134 BGB nichtig, weil die Gemeinden bei ihrer Auswahlentscheidung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF verstoßen haben. Zwar haben die Gemeinden in diesem Fall das Transparenzgebot beachtet. Die bei der Auswahlentscheidung angewandten Kriterien und ihre Gewichtung müssen aber auch inhaltlich mit dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG in Einklang stehen. Danach ist die Auswahl vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG (Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung, Umweltverträglichkeit) auszurichten. Im Übrigen bleibt der Gemeinde überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten, die einen Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrags aufweisen, was eine zulässige wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts umfasst.
Diesem Maßstab genügen die Auswahlentscheidungen zugunsten der Klägerin nicht. Zwar hat das Berufungsgericht einige Auswahlkriterien wie etwa den Gemeinderabatt oder eine Folgekostenübernahme zu Unrecht für unzulässig gehalten. Es hat jedoch zu Recht beanstandet, dass 70 von 170 bei der Angebotsbewertung höchstens erreichbaren Punkten auf Kriterien zum Geschäftsmodell entfielen, und zwar im Sinne von Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft. Außerdem haben die Gemeinden die Ziele des § 1 EnWG nicht hinreichend berücksichtigt.
Die Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF hat die Nichtigkeit der Konzessionsverträge zur Folge, da andernfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Wettbewerb um das Wegerecht ausgeschlossen wäre. Darauf kann sich die Beklagte berufen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Bewertung der Angebote gegenüber ihren Mitbewerbern durchgesetzt hätte.
Ansprüche der Klägerin aufgrund der ihr von den Gemeinden abgetretenen Rechte aus den vertraglichen Endschaftsbestimmungen scheitern daran, dass die Beklagte ihnen nach § 404 BGB entgegenhalten kann, von den Gemeinden diskriminiert (§ 46 Abs. 1 EnWG) und unbillig behindert (§ 20 Abs. 1 GWB aF) worden zu sein.