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Titel: Virtuelles Kraftwerk – Anspruch auf Anpassung des Vertragspreises, marktbeherrschende Stellung, Preisbindungsklausel
Behörde / Gericht: Oberlandesgericht München (mit Außenstelle in Augsburg) (Bayern)
Datum: 27.04.2017
Aktenzeichen: U 3922/15 Kart - Virtuelles Kraftwerk
Gesetz: BGB, GWB, PrklG
Artikeltyp: Rechtsprechung
Kategorien: Gebühren- und Beitragsrecht; Strom- und Gastarife; Netzentgelte, Wettbewerbs-/Kartellrecht, Zivilrecht
Dokumentennummer: 17002074

Virtuelles Kraftwerk – Anspruch auf Anpassung des Vertragspreises, marktbeherrschende Stellung, Preisbindungsklausel

OLG München, Urteil vom 27.04.2017 – U 3922/15 Kart - Virtuelles Kraftwerk

Leitsätze des Gerichts:

  1. Ist eine von den Strom-Großhandelspreisen unabhängige, auf - fiktiven - Erzeugungskosten eines virtuellen Steinkohlekraftwerks basierende Preisvereinbarung in einem langfristigen Stromliefervertrag das Ergebnis monatelanger Verhandlungen, haben die Parteien das Risiko von Veränderungen des Marktpreises für Strom jedenfalls solchen Ausmaßes übernommen, wie sie während der Vertragsverhandlungen zu verzeichnen waren. Derartige Preisschwankungen gehören zum unternehmerischen Risiko der davon benachteiligten Partei und begründen keinen Anspruch auf Anpassung des Vertragspreises aufgrund einer allgemeinen Wirtschaftsklausel.
  2. Ein lieferunabhängiger Jahresleistungspreis als Teil der Gesamtvergütung eines langfristigen Stromliefervertrages entspricht einem bei Dauerschuldverhältnissen typischen Grundpreis, der unabhängig von der konkret in Anspruch genommenen Leistung als Gegenleistung für die Abrufbarkeit und Bereitstellung von Basisleistungen anfällt. Er stellt eine im vertraglichen Synallagma stehende Hauptleistungspflicht dar und unterliegt deshalb nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle.
  3. Will sich ein regionaler Energieversorger durch den Ausbau von Eigenerzeugungskapazitäten in Form von physischen und/oder virtuellen Kraftwerksbeteiligungen von schwankenden Strom-Großhandelspreisen unabhängig machen, ist für die Frage der marktbeherrschenden Stellung eines Anbieters virtueller Kraftwerksbeteiligungen der nach § 18 Abs. 1 GWB sachlich relevante Markt nicht der Erstabsatzmarkt für Strom, sondern der Markt für physische und virtuelle Kraftwerksbeteiligungen.
  4. Eine Preisklausel in einem - an die Betriebsweise eines virtuellen Steinkohlekraftwerks angelehnten - langfristigen Stromliefervertrag, die die Höhe der Geldschuld an einen mit der vereinbarten Leistung (Lieferung von Strom) nicht vergleichbaren Maßstab, nämlich an den Index für tarifliche Stundenlöhne, den Importkohlepreis, den Durchschnittswert an Einheiten US-Dollar je Euro und den Durchschnittspreis für EU-Emissionsberechtigungen bindet, obwohl der Stromlieferant nicht verpflichtet ist, den zu liefernden Strom aus einem realen Steinkohlekraftwerk zu liefern, verstößt gegen § 1 Abs. 1 PrklG.

Bitte das Urteil über unten stehenden Link öffnen.

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