Online-Forum für Betriebswirtschaft, Wirtschaftsrecht und Steuerrecht der Versorgungs- und kommunalen Unternehmen
Titel: FG Hamburg: Erhebliche Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit der „Brennelementesteuer“
Behörde / Gericht: Finanzgericht Hamburg
Datum: 16.09.2011
Aktenzeichen: - 4 V 133/11 -
Gesetz: Kernbrennstoffsteuer, 105 GG
Artikeltyp: Rechtsprechung
Kategorien: Energiesteuer
Dokumentennummer: 11001070

FG Hamburg: Erhebliche Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit der „Brennelementesteuer“

- Beschluss vom 16. 9.2011 - 4 V 133/11 -

  1. Die im Kernbrennstoffsteuergesetz 2011 geregelte Steuer ist eine Steuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinne, nicht aber eine Sonderabgabe der Kernkraftwerkbetreiber.
  2. Es ist zweifelhaft, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer eine Gesetzgebungskompetenz zusteht.
  3. Es spricht vieles dafür, dass die in Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten Typusbegriffe sind.
  4. Es ist zweifelhaft, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus der in Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG genannten Verbrauchsteuer entspricht.
  5. Es ist zweifelhaft, ob der Gesetzgeber neben den im Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten noch neuartige Steuern einführen darf, weil die Gefahr besteht, dass mit einem „Steuerfindungsrecht“ die von der Finanzverfassung sorgsam ausbalancierte Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern umgangen werden könnte.
  6. Einer Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) wegen ernstlicher Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift steht ein grundsätzlicher Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommene Gesetzes nicht entgegen, wenn sich die Zweifel gerade auf das formelle Zustandekommen, hier die Gesetzgebungskompetenz, beziehen.

In einer bundesweit ersten Gerichtsentscheidung hat das Finanzgericht Hamburg die Anfang des Jahres als Verbrauchsteuer neu eingeführte Kernbrennstoffsteuer - auch „Brennelementesteuer“ genannt - in Frage gestellt und einem Eilantrag eines Kernkraftwerkbetreibers stattgegeben. Nach dem von Beginn an umstrittenen Kernbrennstoffsteuergesetz wird der Verbrauch von Kernbrennstoff (Uran 233 und 235 sowie Plutonium 239 und 241) besteuert, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wird. Bei einem Steuersatz von 145 EUR je Gramm Kernbrennstoff wurde bei Einführung der Steuer eine jährliche Einnahme von 2,3 Mrd. EUR erwartet. Von den damals noch 17 Kernkraftwerken sind nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März dieses Jahres zwischenzeitlich allerdings 8 Anlagen abgeschaltet worden.

Das zum 1. 1. 2011 in Kraft getretenen Kernbrennstoffsteuergesetz verpflichtet die Betreiber von Kernkraftwerken, die Kernbrennstoffsteuer selbst zu berechnen und bei dem für sie zuständigen Hauptzollamt anzumelden. So verhielt sich auch die Antragstellerin und gab im Juli 2011 beim Hauptzollamt Hannover eine Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro Kernbrennstoffsteuer ab. Die Antragstellerin zahlte in der Folge auch die Kernbrennstoffsteuer, um die Festsetzung von Säumniszuschlägen zu vermeiden, reichte aber zugleich beim FG Hamburg einen vorläufigen Rechtsschutzantrag ein, mit dem sie die Aufhebung der Vollziehung ihrer Steueranmeldung, d.h. die vorläufige Rückzahlung der von ihr gezahlten Kernbrennstoffsteuer begehrt.

Der 4. Senat des FG Hamburg hat dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung der Steueranmeldung ausgesetzt. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Nach Ansicht des Gerichts ist es zweifelhaft, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer nach dem Grundgesetz eine Gesetzgebungskompetenz zusteht.

Zusammenschau der Merkmale begründet ernsthafte Zweifel, ob verfassungsrechtlicher Typus einer "Verbrauchsteuer" vorliegt

Der Senat hat zum einen Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspricht. Bei Verbrauchsteuern handelt es sich nämlich typischerweise um Warensteuern, die den baldigen Verzehr oder den kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belasten. Als Besteuerung des Verbrauchs knüpfen sie an das Verbringen des Gutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr an. Sie werden in der Regel bei demjenigen Unternehmer erhoben, der das Gut am Markt anbietet, sind aber auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegt.In seinem Beschluss führt das Gericht aus, dass Kernbrennstoffe kein Konsumgut seien, sondern ausschließlich zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet würden, ohne dabei in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr zu gelangen. Dass den Stromerzeugern eine Überwälzung der durch die Kernbrennstoffsteuer entstehenden zusätzlichen Kosten möglich sein werde, erwarte ausweislich der Gesetzesbegründung selbst der Gesetzgeber nicht.

Es ist durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt, was genau unter "übrige Steuern" i. S. v. Art. 105 Abs. 2 GG zu verstehen ist

Über den konkreten Fall hinaus reicht die Frage, ob der Gesetzgeber neben den im Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten noch neuartige Steuern einführen darf. Das FG Hamburg hat erhebliche Vorbehalte gegen ein solches „Steuerfindungsrecht“, insbesondere bestehe die Gefahr, dass damit die von der Finanzverfassung sorgsam ausbalancierte Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern umgangen werden könnte. Da bereits ernstliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass des Kernbrennstoffsteuergesetzes bestehen, bestand für das Gericht kein Anlass, sich in diesem Verfahren zu den weiteren streitigen Fragen zu äußern, etwa ob die Kernbrennstoffsteuer auch gegen die Grundrechte auf Gleichbehandlung und auf Eigentum oder gegen Europarecht verstößt. Die Beschwerde an den BFH ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Autoren:

Fachartikel:

Erweiterte Suche