Am 13. Juli 2011 hat der Bundesfinanzhof auf eine bedeutsame Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zum Abzug von Kosten für einen Zivilprozess hingewiesen: Solche Ausgaben können nunmehr unabhängig vom Gegenstand eines solchen Verfahrens bei der Einkommensteuer als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Voraussetzung sei, dass sie unausweichlich sind. Dies sei der Fall, wenn die Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Davon ist laut BFH auszugehen, wenn der Erfolg des Zivilprozesses mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg ist (BFH 12.05.2011, Az.: VI R 42/10).
Die Leitsätze des Urteils lauten:
- Zivilprozesskosten können Kläger wie Beklagtem unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen (Änderung der Rechtsprechung).
- Unausweichlich sind derartige Aufwendungen jedoch nur, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
- Zivilprozesskosten sind jedoch nur insoweit abziehbar, als sie notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten. Etwaige Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung sind im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen.
Sachverhalt
Im entschiedenen Fall war die Klägerin Anfang 2004 arbeitsunfähig erkrankt. Nachdem ihr Arbeitgeber (nach sechs Wochen) seine Gehaltszahlungen einstellte, nahm die Klägerin ihre Krankentagegeldversicherung in Anspruch. Nach rund einem halben Jahr wurde bei der Klägerin zusätzlich zur Arbeitsunfähigkeit auch Berufsunfähigkeit diagnostiziert. Aufgrund dieses Befundes stellte die Krankenversicherung die Zahlung des Krankentagegelds ein, weil nach Eintritt der Berufsunfähigkeit keine Verpflichtung zur Zahlung von Krankentagegeld mehr bestehe. Daraufhin erhob die Klägerin erfolglos Klage auf Fortzahlung des Krankengeldes. Die Kosten des verlorenen Zivilprozesses in Höhe von rund 10.000 € machte die Klägerin in ihrer Einkommensteuererklärung geltend. Das Finanzamt berücksichtigte diese Kosten jedoch nicht und wurde darin zunächst vom Finanzgericht (FG) bestätigt, denn die Klägerin lebe in intakter Ehe und könne auf ein Familieneinkommen von ca. 65.000 € "zurückgreifen".
Rechtliche Grundlagen
Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes können bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden. Außergewöhnliche Belastungen sind dem Steuerpflichtigen zwangsläufig entstehende größere Aufwendungen, die über die der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands entstehenden Kosten hinausgehen. Kosten eines Zivilprozesses hatte die Rechtsprechung bisher nur ausnahmsweise bei Rechtsstreiten mit existenzieller Bedeutung für den Steuerpflichtigen als außergewöhnliche Belastung anerkannt.
Rechtsprechungsänderung und Aufgabe der engen Gesetzesauslegung
Mit dem Urteil vom 12. Mai 2011 hat der BFH die bisherige enge Gesetzesauslegung aufgegeben und entschieden, dass Zivilprozesskosten unabhängig vom Gegenstand des Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können. Unausweichlich seien derartige Aufwendungen allerdings nur, wenn die Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Davon sei auszugehen, wenn der Erfolg des Zivilprozesses mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg sei.