Tod eines Energieversorgungskunden und Auswirkungen auf ein Energieversorgungsunternehmen - Teil 1: Vertrags- und erbrechtliche Grundlagen
Teil 1: Vertrags- und erbrechtliche Grundlagen
- von RA Dr. Karsten Rauch, Wuppertal -*
Beim Tod eines Kunden hat der Energieversorger eine Reihe von Fragen zu klären, für die es im Unternehmen oft keine einheitlichen Geschäfts- oder Arbeitsabläufe gibt. Das kann im Betrieb aufwendige, teilweise abteilungsübergreifende Prozesse in Gang setzen.
Ziel dieser Untersuchung ist es, die rechtlichen Strukturen aufzuzeigen, mit denen sich ein Versorger nach dem Tod eines Kunden grundlegend beschäftigen muss. Darstellungsrelevante Berührungspunkte bestehen dabei einmal zum Schuld-, Erb- und Energievertragsrecht. Darüber hinaus spielen sozialrechtliche Fragestellungen in der betrieblichen EVU-Praxis zunehmend eine Rolle. Im ersten Teil werden die Grundlagen des Erb- und Vertragsrechts wie auch die zentralen Problemkreise in diesem Zusammenhang veranschaulicht. Abgerundet wird dieser Abschnitt mit der Erörterung der Themenfelder, die sich im Kontext mit dem Schicksal von Energieforderungen eines verstorbenen Kunden im Forderungsmanagement ergeben.
Im zweiten Teil dieses Beitrags** werden sozialvertragsrechtliche Implikationen aufgezeigt, die insbesondere im Zusammenhang mit § 118 Abs. 4 SGB VI entstehen.
I. Einleitung
Der Tod eines Energieversorgungskunden (Kunde/Vertragspartner/Erblasser) stellt aus der Sicht des beliefernden Energieversorgungsunternehmens (EVU/Versorger1) eine zeitlich-inhaltliche Zäsur in der Vertragsbeziehung dar. In einer, selbst in der Energieversorgungsbranche, zunehmend auf Automatisierung ausgerichteten Betriebsorganisation löst der Tod eines Vertragspartners ggf. aufwendige Prozesse beim EVU aus. Um die damit einhergehenden unternehmensinternen Prozesskosten aufwandsminimierend steuern zu können, empfiehlt es sich, die Bearbeitung geschulten kaufmännischen Mitarbeiter*innen (Sachbearbeiter) zu übertragen. Die Sachbearbeiter sollten dabei über notwendige juristische Grundkenntnisse verfügen, um möglichst fallabschließend die anstehenden Vorgänge nach dem Tod des Kunden kaufmännisch bearbeiten zu können. Die Leitlinien der Sachbearbeitung sollten in konkretisierenden Arbeits-, Dienst- und Verfahrensanweisungen2 niedergelegt sein, um einheitliche Geschäfts- und Arbeitsabläufe zu gewährleisten. Dabei sollte der vertrags- und erbrechtliche Rechtsrahmen in jedem Fall - auch aus Compliance-Gesichtspunkten - die Richtschnur bilden, ohne dabei Sonderregelungen für bestimmte »Bagatellfälle« auszuschließen.
In sachlicher Hinsicht löst der Tod eines Vertragspartners regelmäßig abteilungsübergreifende Bearbeitungen aus, es sei denn, eine zentrale Einheit beschäftigt sich mit der kaufmännischen Erledigung aller anfallenden Belange im Kontext mit eingehenden Sterbemitteilungen. Unter anderem können folgende Arbeitsbereiche betroffen sein:
- Vertragsmanagement3 inklusive der Kontaktaufnahme mit Erben
- Korrespondenz mit dem zuständigen Nachlassgericht
- Rechnungslegung4 und buchhalterische Verarbeitung inklusive der Ausbuchung von Energieforderungen nach erklärter Ausschlagung der Erbschaft
- Forderungsmanagement und gerichtliche Geltendmachung
- Externe Korrespondenz mit Vermietern, Banken und Rentenversicherungsträgern.
II. Ziel und Gang der Untersuchung
Ziel dieser Untersuchung ist es, die rechtlichen Strukturen aufzuzeigen, mit denen sich ein Versorger nach dem Tod eines Kunden grundlegend beschäftigen muss. Darstellungsrelevante Berührungspunkte bestehen dabei einerseits zum Schuld-, Erb- und Energievertragsrecht. Darüber hinaus spielen andererseits sozialrechtliche Fragestellungen in der betrieblichen EVU-Praxis zunehmend eine Rolle, vor allem wenn z.B. Rentenversicherungsträger mit dem Einwand sog. »überzahlter Renten« Rückforderungsansprüche geltend machen.
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III. Tod des Kunden: Erb- und vertragsrechtliche Rechtsfolgen
Der Tod eines Kunden führt grundsätzlich nicht zur Beendigung des mit ihm zu Lebzeiten abgeschlossenen Energievertrages, es sei denn, im Bereich der sog. Normsonderkundenversorgung5 ist das Ableben als vertraglicher Beendigungszeitpunkt vom EVU ausdrücklich vertraglich festgelegt worden.6 Vielmehr werden - entgegen der teilweise in der kaufmännischen Sachbearbeitung vorzufindenden irrigen Annahme - in der Regel die bestehenden energievertraglichen Vereinbarungen mit den Erben fortgesetzt.7
1. Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB
Die Fortsetzung des Energievertrages beruht auf dem in § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorgesehenen Prinzip der »Gesamtrechtsnachfolge«.
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IV. Schicksal vor und nach dem Tod entstandener und entstehender Energieforderungen
Vor dem Tod entstandene Energieforderungen (= laufende Abschläge und Jahresverbrauchsabrechnungen) sind von den Erben auszugleichen, sofern diese im Zeitpunkt der Geltendmachung der Forderung die Erbschaft gegenüber dem Nachlassgericht nicht ausgeschlagen haben. Eine Inanspruchnahme der Erben entfällt allerdings dann, wenn sie mit Blick auf den konkreten Forderungsbetrag (z.B. Abschlagsrechnung März 2019, Jahresverbrauchsabrechnung 2018) nachweisen können, dass das EVU den Forderungsbetrag bereits vom Konto des Erblassers per SEPA-Lastschrift-Mandat abgebucht oder per Dauerauftrag erhalten hat. Mit dem Eingang des Zahlbetrages beim Versorger erlischt die Schuld des Vertragspartners durch Erfüllung, unabhängig davon, ob der Tod des Erblassers schon eingetreten ist und ob der Erbe von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis hatte.
[…]
* Der Autor ist bei der WSW Wuppertaler Stadtwerke GmbH als Justitiar beschäftigt. Der Beitrag gibt die ausschließliche Auffassung des Autors wieder.
** Folgt in einem späteren Heft.
1 Unter »EVU« im Sinne dieses Beitrages wird jede juristische Person verstanden, die elektrische Energie, Gas und Fernwärme an natürliche und juristische Personen verkauft. Diese Definition orientiert sich an der Legaldefinition des »Gaslieferanten« in § 3 Nr. 19b EnWG.
2 In diesem Zusammenhang wären sowohl individual- als auch kollektiv - arbeitsrechtliche Determinanten - namentlich die Regelungen in § 106 GewO und in § 87 BetrVG - zu beachten.
3 Einen gesonderten Teil der Sachbearbeitung bildet zunehmend der Bereich der sog. »Digitalen Nachlassverwaltung«. Hierauf grundlegend eingehend Herzog/Pruns: Der digitale Nachlass in der Vorsorge und Erbrechtspraxis, 2018.
4 Die inhaltliche Aufbereitung der Vorgänge wird dadurch erschwert, dass das EVU vom Ableben des Kunden teilweise erst deutlich verzögert erfährt. Infolgedessen werden Energieverbräuche für Zeiträume in Rechnung gestellt, in denen der Verstorbene rein definitionsgemäß nicht mehr »letztverbrauchender (Haushalts-)Kunde« im Sinne des § 3 Nr. 22, 24, 25 EnWG sein konnte.
5 Hierzu vertiefend stellvertretend für viele Hempel, in: Regulierung der Energiewirtschaft, 2. Aufl. 2016, Kapitel 115, S. 1736ff.
6 Mit den Grundsätzen der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit ist eine solche Vertrags- und AGB-Gestaltung zulässig. So sehen etwa die Allgemeinen Hausrat-Versicherungsbedingungen (VHB 2000) vor, dass das Versicherungsverhältnis zwei Monate nach dem Tod des Versicherungsnehmers endet, wenn nicht bis spätestens zu diesem Zeitpunkt ein Erbe die Nutzung der versicherten Wohnung übernommen hat. Für den Bereich der leitungsgebundenen Strom- und Gasversorgung gilt es jedoch zu beachten, dass Verträge auch durch schlüssiges Verhalten begründet werden können. Ob der Erbe dabei (Neu-)Kunde wird und welches EVU für die Durchführung dann verantwortlich ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln des EnWG in Verbindung mit der Strom- bzw. Gasgrundversorgung. Zu dieser Vorschrift vertiefend u.a. Rauch, EnWZ 2016, 63ff., m.w.N.
7 Hempel, in: Hempel/Franke, AVBELTV, Loseblattsammlung (66. Lfg.), § 32, Rn 77.