Online-Forum für Betriebswirtschaft, Wirtschaftsrecht und Steuerrecht der Versorgungs- und kommunalen Unternehmen
Titel: Zählerwechsel und sicherheitsrelevante Mängel der Kundenanlage
Datum: 01.02.2019
Artikeltyp: Aufsätze
Kategorien: Energie(wirtschafts)recht, Gebühren- und Beitragsrecht; Strom- und Gastarife; Netzentgelte, Messstellenbetrieb/-sgesetz, Verwaltungsrecht, Zivilrecht
Dokumentennummer: 19005083 ebenso Versorgungswirtschaft 2/2019, Seite 46

Zählerwechsel und sicherheitsrelevante Mängel der Kundenanlage

- von RA Michael Brändle, Freiburg -*

In den verbleibenden 14 Jahren bis Ende 2032 müssen im Hinblick auf die Pflicht zur Ausstattung aller Messstellen mit intelligenten Messsystemen oder jedenfalls modernen Messeinrichtungen (§ 29 MsbG) sämtliche Stromzähler ausgetauscht werden. Stichprobenprüfungen, die einen Zählertausch entbehrlich machten, wird es für herkömmliche Ferraris-Zähler nicht mehr geben. Deutschlandweit sind bei über 40 Millionen Haushalten etwa ebenso viele Stromzähler in privaten Haushalten betroffen. Gleichzeitig kommen die in der Nachkriegszeit gebauten Wohnhäuser immer mehr in die Jahre. Auch wenn das Dach erneuert, die Fenster ausgetauscht, die Fassade gedämmt und die Steckdosen und Lichtschalter erneuert sind, wird sich die nicht sichtbare elektrische Kundenanlage in den meisten Fällen im mehr oder weniger beklagenswerten und dem Stand heutiger Technik bei weitem nicht mehr entsprechenden Urzustand befinden. Den vom Messstellenbetreiber geschickten Installateur wird manch‘ böse Überraschung erwarten. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie er damit umgehen soll, wenn er sicherheitsrelevante, möglicherweise sogar lebensgefährliche Mängel an der Kundenanlage feststellt. Berichte aus der Praxis zeigen, dass dies immer häufiger der Fall ist.

1 Problemstellung

Falls keine Zählersteckklemme nach DIN VDE 0603-3 vorhanden ist, erfordert ein Zählerwechsel, die Leitungsanschlussklemmen des Zählers zu lösen und die Adern danach mit dem neuen Zähler zu verbinden. Je nach Zustand sind die Aderendhülsen zu ersetzen. Befinden sich die zu lösenden Adern in einem schlechten Zustand, fällt vielleicht die Isolierung schon bei leichter Berührung ab. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie der Installateur - nicht nur zu seinem Eigenschutz - darauf zu reagieren hat, denn dann besteht der konkrete Verdacht, dass sich die gesamte Kundenanlage in einem elektrisch nicht sicheren Zustand befindet und eine Gefahr für Menschen und Sachen darstellt. Auch beim Vorhandensein einer Zählersteckklemme mag der Installateur schon auf erstes Hinsehen zum Ergebnis kommen, die Anlage sei nicht sicher. Insbesondere die Brandgefahr ist nicht zu unterschätzen: Bei etwa einem Drittel der Brände ist Elektrizität die Ursache.1

2 Lebensschutz

Der Lebensschutz hat in der Rechtsordnung einen sehr hohen Stellenwert. Auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt die Rechtsprechung, die staatlichen Gewalten hätten aktiv alles Erdenkliche zu tun, dem Lebensschutz gerecht zu werden. Wie weit das geht, mag die Rechtsprechung zum suizidalen Schuldner im Zwangsversteigerungsverfahren illustrieren: Einer Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss ist stattzugeben, wenn wegen eines Vollstreckungsschutzantrages des Schuldners bereits der Zuschlag wegen einer mit dem Eigentumsverlust verbundenen konkreten Gefahr für das Leben des Schuldners oder eines nahen Angehörigen nicht hätte erteilt werden dürfen. Im Klartext: Der Schuldner muss nur glaubhaft mit seiner Selbsttötung drohen, dann kann sein Grundstück nicht zwangsversteigert werden. Die mit Zwangsversteigerungen betrauten Rechtspfleger, welche für Fehlentscheidungen unter Umständen (anders als Richter) persönlich haften, sind ob dieser Rechtsprechung der Verzweiflung nahe. Wie man also sieht, ist es der Rechtsordnung nicht unbekannt, dass man sogar die Leute vor sich selbst schützen muss. Das darf allerdings nicht unbesehen auf den Netzbetreiber oder Messstellenbetreiber übertragen werden, denn diese üben keine staatliche Gewalt aus, sie handeln vielmehr zivilrechtlich. Gleichwohl kann diese zentrale Wertentscheidung des Grundgesetzes nicht völlig ausgeblendet werden, zumal der Gesundheits- und Lebensschutz in § 15 NAV seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat: Bei Gefahr für Leib oder Leben ist der Netzbetreiber zur Unterbrechung der Anschlussnutzung verpflichtet (§ 15 Abs. 2 Halbsatz 2 NAV) und die sonst geltende Haftungsfreistellung entfällt (§ 15 Abs. 3 Satz 2 NAV). Auf § 15 NAV wird unten zurückzukommen sein (unten 4). Zunächst ist aber zu klären, was »Gefahr für Leib oder Leben« rechtlich überhaupt ist.

3 Gefahr für Leib oder Leben

Eine allgemein gültige Definition der »Gefahr für Leib oder Leben« gibt es nicht.

[…]

4 Überprüfung der elektrischen Anlage, § 15 NAV

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 NAV ist der Netzbetreiber berechtigt (aber nicht verpflichtet), die Kundenanlage auch nach Inbetriebsetzung zu überprüfen, aber nur »um unzulässige Rückwirkungen auf Einrichtungen des Netzbetreibers oder Dritter auszuschließen«. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 NAV hat der Netzbetreiber den Anschlussnehmer auf erkannte Sicherheitsmängel aufmerksam zu machen, wenn er anlässlich einer Überprüfung der Kundenanlage solche feststellt. Bei Mängeln, welche die Sicherheit gefährden oder erhebliche Störungen erwarten lassen, ist er zur Unterbrechung der Anschlussnutzung berechtigt (§ 15 Abs. 2 Halbsatz 2 NAV), bei Gefahr für Leib oder Leben ist er hierzu verpflichtet (§ 15 Abs. 2 Halbsatz 2 NAV). Die Vornahme der Überprüfung oder deren Unterlassung führt ausdrücklich nicht zu einer Haftung für die Mängelfreiheit der Anlage (§ 15 Abs. 3 Satz 1 NAV). Dies gilt aber nicht, wenn er bei einer Überprüfung Mängel festgestellt hat, die eine Gefahr für Leib oder Leben darstellen (§ 15 Abs. 3 Satz 2 NAV).

[…]

* Der Autor ist spezialisierter Rechtsanwalt, Autor und Dozent für Energierecht in Freiburg und Lehrbeauftragter für Energierecht an der Hochschule Esslingen und an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg/

Friedrichshafen.

1 Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung der öffentlichen Versicherer e.V., Ursachenstatistik Brandschäden 2017, abrufbar unter www.ifs-ev.org/wp-content/uploads/2018/05/ifs_brandursachenstatistik_2017.pdf .

Dieser kostenpflichtige Artikel ist nur für registrierte Nutzer online verfügbar.
Sie haben die Möglichkeit, das Angebot ohne weitere Verpflichtungen kennen zu lernen.
weitere Infos | zum Login (für das Online Angebot registrierte Abonnenten)

Autoren:

Fachartikel:

Erweiterte Suche