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Titel: »Verflüchtigung« auch von Gebühren? zugleich Besprechung VG Stuttgart vom 16.3.2017 – 1 K 2131/15
Autor: RA Dieter B. Schütte, RA Olaf Hünemörder
Datum: 01.07.2017
Artikeltyp: Aufsätze
Kategorien: Abgabenordnung, Gebühren- und Beitragsrecht; Strom- und Gastarife; Netzentgelte, Kommunales Haushaltsrecht, Recht der kommunalen Betriebe, Verfahrensrecht
Dokumentennummer: 17004282 ebenso Versorgungswirtschaft 7/2017, Seite 193

»Verflüchtigung« auch von Gebühren? zugleich Besprechung VG Stuttgart vom 16.3.2017 – 1 K 2131/15

- von Rechtsanwalt Olaf Hünemörder und Rechtsanwalt Dieter B. Schütte, Bad Doberan/Rostock -*

Das Urteil des VG Stuttgart vom 16.03.2017 - 1 K 2131/151 könnte einen dringend benötigten Ruhepunkt in der derzeit infrage gestellten Struktur der Beitrags- und Gebührenerhebung auf der Basis der ebenfalls unter Druck geratenden Kommunalabgabengesetze der Länder darstellen.

Nach dessen Leitsatz ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfordernis einer zeitlichen Obergrenze für die rückwirkende Beitragserhebung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b BayKAG2 auf die Erhebung von Gebühren nicht übertragbar. Hält dieses Urteil, d.h. werden auch andere Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte diesen Standpunkt übernehmen, wäre eine wichtige Trennung zumindest zwischen Beitrags- und Gebührenerhebung erreicht und der aus den neuen Bundesländern und darin Brandenburg als Vorreiter nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstehende Flächenbrand in der rechtlichen Begründbarkeit von Abgabenerhebungen zumindest eingedämmt. Das heißt nicht zwingend, dass nicht der vorgenannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zu Beiträgen über andere rechtliche Verknüpfungen zwischen der Beitrags- und Gebührenerhebung doch erhebliche Auswirkungen auch auf die zukünftige Gebührenerhebung haben kann.

(…)

2. Übertragbarkeit BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013, auf Gebühren

Danach konnte das Gericht der Frage nachgehen, ob sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c) in § 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b BayKAG etwas anderes ergebe. Die dortige Norm, welche die Erhebung von Beiträgen ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, ist nach BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013,3 mit den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem aus dem Rechtstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Gebot der Rechtssicherheit unvereinbar, weil der Gesetzgeber den Interessenausgleich zwischen den Erwartungen der Bürger auf Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem öffentlichen Belang an finanziellen Beiträgen für individuelle Vorteile einseitig zulasten der Schuldner entschieden hat. Das VG Stuttgart entscheidet mit guten Gründen mit dem hier besprochenen Urteil gegen eine Übertragbarkeit4 der grundsätzlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Geltung von zeitlichen Obergrenzen in der Beitragserhebung auf die 2. Abgabenart der Gebührenerhebung. …

2.3 Beitragsausfälle und Gebührenerhebung

Die an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und nunmehr des Verwaltungsgerichts Stuttgart anknüpfenden Fragestellungen betreffen den Kreis der betroffenen Aufgabenträger und das Maß der ihnen jeweilig entstehenden Abgabenausfälle. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führt zunächst direkt zu Beitragsausfällen, weil deren Durchsetzung weder durch eine Satzungsänderung noch eine Gesetzesänderung nachträglich wieder ermöglicht werden kann. Je nach Gestaltung der landesrechtlichen Vorschriften zur Beitrags- und Gebührenerhebung finden jedoch auch Wechselwirkungen in die Gebührenerhebung hinein statt. Viele Kommunalabgabengesetze enthalten Regelungen zur Vermeidung (vermeintlicher) Doppelbelastungen, beispielsweise mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung von (erwarteten oder jedenfalls realisierten) Beitragserhebungen bei der Ermittlung der Abschreibungsbasis. Nicht realisierte Beitragserhebungen können damit nicht nur direkt zu Unterdeckungen bezüglich der Anlagenfinanzierung durch Beiträge sondern auch zur Versperrung eines Ausweichens auf die Gebührenfinanzierung führen. …

* Rechtsanwalt Olaf Hünemörder, Fachanwalt für Vergaberecht und Dieter B. Schütte, Lehrbeauftragte an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow, sind Partner der Kanzlei SHP Schütte Horstkotte und Partner und betreuen schwerpunktmäßig Gemeinden, Zweckverbände und Stadtwerke zu Fragen der Versorgungswirtschaft.

1 VG Stuttgart, Urteil vom 16.03.2017 - 1 K 2131/15, juris Rn. 23, VW-DokNr. 17002034, die wichtigsten Gründe abgedruckt in diesem Heft, VersorgW 2017, 206.

2 BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 - 1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143, VersorgW 2013, 185, DokNr. 13001972.

3 1 BvR 2457/08, (o. Fn. 2).

4 Vom VGH Baden-Württemberg ist allerdings für Beiträge die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rezipiert worden (Urteil vom 31.12.2014 - 2 S 2366/13, juris Rn. 46, VersorgW 2014, 280, DokNr 17002035), aber eben sehr bewusst nur für Beiträge!

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